Autor Thema: nett geschrieben - nett zu lesen  (Gelesen 186800 mal)

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #195 am: 09. Juli 2013, 16:16:02 »
Ich habe lang überlegt, ob ich mir einen Grill zulegen sollte. Da meine Frau Vegetarierin ist, bekam diese Entscheidung auch eine politische Dimension. Schließlich sprach mich die allein schon die elegante Formensprache des AEG 520015 so sehr an, dass ich zuschlagen musste. Legt man den Grill auf die Seite hat er etwas vom Porsche 911 und ich persönlich weiß es sehr zu schätzen, wenn Gegenstände über ihren reinen Nutzwert hinaus auch etwas fürs Auge bieten.

Mit dem ersten Anzünden nahm mich der AEG 520015 gefangen. Es macht einfach Spaß dieses Gerät zu bedienen und zu berühren. Zuerst testete ich den Grill mit einer ganz normalen Thüringer vom Metzger. Dabei fiel mir gleich auf, dass die untere Pfanne als Resonanzkörper für ein viel satteres Brutzeln sorgt als herkömmliche Grille. Davor hatte ich einen Schwenkgrill von Landmann, der immer für sehr unangenehmes Klackern sorgte. Bei Tofu kam es sogar zu diesem Geräusch, das entsteht, wenn man mit den Fingernägeln über eine Tafel kratzt. Mein AEG hingegen fängt die Höhen gut ab und sorgt vom Steak bis zum Schaschlickspieß für ein freundliches Schmatzen.

Nach der besten Thüringer meines Lebens testete ich den Grill mit Burgerfleisch, was unter Fachleuten als unmöglich gilt, weil das Rindfleisch durch das Rost gerät, bevor es die nötige Konsistenz hat. Allerdings gab mir der AEG von Anfang an das Gefühl, dass mit ihm auch unmögliche Dinge möglich seien. Der Burger gelang perfekt und so wurde auch meine Frau neugierig. Ohne es zu wissen war auch sie von der Magie des 520015 gebannt und bat mich einen Toast Hawaii für sie zu grillen. Ich wieß sie darauf hin, dass zu einem echten Toast Hawaii auch Kochschinken gehört. Daraufhin gab sie mir einen Blick, den ich nie vergessen werde. Ich wusste: Ab heute wird meine Frau nie wieder Vegetarierin sein.

In den Wochen danach fanden wir immer wieder einen Vorwand, den 520015 anzuwerfen: Feierabendgrillen, Wochenendgrillen, Frühstücksgrillen. Es ist nicht gelogen, wenn ich sage: Man hat sich schon mit dem Aufstehen darauf gefreut, später eine Wurst zu brutzeln. Irgendwann traf ich mich mit meiner Frau regelmäßig in der Mittagspause zum grillen. Die Mittagspausen wurden entsprechend länger und ich bekam Ärger mit meinem Arbeitgeber. Ich erzählte meinem Chef von einer längerfristigen Arztbehandlung, die leider die Zeit erfordere, doch er roch an mir, dass etwas nicht stimmte.

Nach ca. einem Monat ließen wir den Grill bei uns im Schlafzimmer die ganze Nacht über auf niedriger Temperatur brutzeln. Rückblickend weiß ich, wie krank sich das anhören muss, doch zu der Zeit kam es uns nicht im Geringsten merkwürdig vor. 'Wir grillen eben gern, außerdem sind wir Nichtraucher und trinken kaum Alkohol' war das Mantra, das für uns unsichtbar werden ließ, was für jeden offensichtlich war: Wir waren süchtig.

Ich kündigte meinen Job in einer renommierten Bank, um mich als Wurstverkäufer selbstständig zu machen. Ich dachte, wenn ich mich mit meiner ganzen Leidenschaft dem Grillen widme, dann verdiene ich damit genau so viel wie vorher und kann dem AEG 520015 so nahe sein wie möglich.

Doch der Grill wollte mehr von mir. Nähe allein reichte nicht aus. Ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich kurz meine Handfläche auf das heiße Rost presste. Ich genoss es irgendwie, es erregte mich.

Meine Frau war schon immer stärker als ich. Sie merkte als Erstes, dass der 520015 verschwinden muss. Sie bat mich mehrmals unter Tränen, doch ich konnte mich von dem Grill nicht trennen. Allein der Gedanke daran zeriss mich innerlich. Als meine Frau zu ihrer Mutter zog, wusste ich: Ab jetzt gibt es nur noch mich und den 520015. Kein Mensch war mehr da, der mich hätte retten können. Mein Körper war vernarbt, nach dem ich mich immer wieder auf sein Rost legte. Nachts schlief ich in einem Bad aus Kräutermarinade. Das half gegen den Wundschmerz.

Als die Scheidungspapiere meiner Frau im Briefkasten lagen hatte ich sie schon längst vergessen. Ich befand mich einsam in einem Universum aus Kohle, Fleisch und Rauch, war aufgedunsen und träge. Ich wollte sterben, war aber zu faul, den nötigen Aufwand zu betreiben. Der Grill bestimmte alles und er wollte, dass ich weiter lebe.

Eines Tages war der AEG 520015 plötzlich verschwunden. Ich suchte ihn überall wie im Wahn. Ich konnte die Polizei nicht einschalten, weil ich über die Monate vergaß, wie man spricht. Ich verließ mein Haus und irrte durch die Straßen Delmenhorsts. Das ganze Fett in meinem Körper legte sich wie ein dicker Film über alle meine Sinne und so trottete ich einfach nur gerade aus ohne wirklich zu suchen.

Ich ging immer weiter. Ich erreichte Verden, Nienburg, Bad Oeynhausen und ging noch weiter. Irgendwie tat mir das Gehen gut. Es fühlt sich so richtig an, sich einfach nur geradeaus zu bewegen. Ich ging durch Wälder und ernährte mich dort zum ersten mal seit langem nicht von Fleisch. Die Beeren und das Moos taten mir so gut, dass ich immer mehr zu Kräften kam. Ich ging weiter und erreichte Clausthal-Zellerfeld. Mittlerweile machten richtige Muskeln unter meiner Haut auf sich aufmerksam also begann ich zu joggen.

Von Tag zu Tag sah ich immer mehr Farben und nahm immer mehr Gerüche auf. Ich lief und lief und lief, bis ich in Erfurt ankam. Dort blieb ich plötzlich vor einer Bratwurstbude einfach stehen. Es gab dort Thüringer für 90 Cent, gegrillt auf einem AEG 520015. Ich sagte dem Verkäufer: Das ist ein sehr gutes Gerät, aber ich brauche es nicht mehr. Ich war glücklich.

...in einem anderen Forum gelesen + hierher rüberkopiert  ;)

LG v. Druiden

Conte Palmieri

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Yossarian

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #197 am: 21. August 2013, 17:39:55 »

Yossarian

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #198 am: 25. August 2013, 10:07:18 »
To speak of certain government and Establishment institutions as "the System" is to speak correctly, since these organizations are founded upon the same structural relationships as a motorcycle. They are sustained by structural relationships even when they have lost all other meaning and purpose. People arrive at a factory and perform a totally meaningless task from eight to five without question because the structure demands that it be the way. There´s no villain, no "mean guy" who wants them to live meaningless lives, it´s just that the structure, the System demands it and no one is willing to take on the formidable task of changing the structure just because it is meaningless.

But to tear down a factory or to revolt against a government or to avoid repair of a motorcycle because it is a system is to attack effects rather than causes; and as Long as the attack is upon effects only, no change is possible. The true system, the real system, is our present construction of systematic thouht itself, rationality itself, and if a factory is torn down but the rationality which produced it is left standing, then that rationality will simply produce another factory. If a Revolution destroys a systematic government, but the systematic patterns of thought that produce that government are left intact, then those patterns will repeat themselves in the succeeding government.. There´s so much talk about te System. And so little understanding.

(Robert M. Pirsig, Zen ant the Art of Motorcycle Maintenance)
« Letzte Änderung: 25. August 2013, 10:09:45 von Yossarian »

Yossarian

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #199 am: 04. November 2013, 21:13:50 »

Yossarian

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #200 am: 29. November 2013, 12:04:29 »

Offline Teppichporsche

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #201 am: 29. November 2013, 13:47:10 »
To speak of certain government and Establishment institutions as "the System" is to speak correctly, since these organizations are founded upon the same structural relationships as a motorcycle. They are sustained by structural relationships even when they have lost all other meaning and purpose. People arrive at a factory and perform a totally meaningless task from eight to five without question because the structure demands that it be the way. There´s no villain, no "mean guy" who wants them to live meaningless lives, it´s just that the structure, the System demands it and no one is willing to take on the formidable task of changing the structure just because it is meaningless.

But to tear down a factory or to revolt against a government or to avoid repair of a motorcycle because it is a system is to attack effects rather than causes; and as Long as the attack is upon effects only, no change is possible. The true system, the real system, is our present construction of systematic thouht itself, rationality itself, and if a factory is torn down but the rationality which produced it is left standing, then that rationality will simply produce another factory. If a Revolution destroys a systematic government, but the systematic patterns of thought that produce that government are left intact, then those patterns will repeat themselves in the succeeding government.. There´s so much talk about te System. And so little understanding.

(Robert M. Pirsig, Zen ant the Art of Motorcycle Maintenance)

Eine völlig korrekte Einschätzung der Lage. Aber man sollte sich klar darüber sein, dass kein Ergebnis überbordender Intelligenz ist. Sobald man aufhört seinen eigenen schwachsinnigen Gedanken Glauben zu schenken, sobald man anfängt den ganzen Unsinn zu hinterfragen (ich meine ehrliches Hinterfragen), dann kommt man notgedrungen zu dieser Einschätzung. Ganz einfach, ohne besondere Anforderungen an die Intelligenz.
Those are my principles, and if you don't like them... well, I have others.

Groucho Marx

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Yossarian

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #203 am: 03. Dezember 2013, 16:08:32 »
Nett. Gibt´s von dem noch mehr solcher Glossen?

Offline ganter

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #204 am: 03. Dezember 2013, 19:08:22 »
"Männer definieren sich sowieso nicht über die Drogeneinwurfmenge."
"Im Vergleich zur bricom dürfte jede Wand einer öffentlichen Bedürfnissanstalt ein Quell unendlicher Weisheit sein...."
Bodo

Offline Schelm

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"Die spinnen die Bayern" ...  Bodo

Offline nigel48

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #206 am: 18. Dezember 2013, 21:04:31 »
Womit die letzte, entscheidende Frage im Raum steht: Wie konnte es so weit kommen, dass diese abgewohnte Vogelscheuche ihr eigenes Leben überstanden hat und im 70. Lebensjahr noch so spielen kann?

keith,  a happy new year.
Man fährt an den See, um zu schwimmen - nicht wegen der Mücken, oder? - Lemmy Kilminster

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #207 am: 18. Dezember 2013, 22:14:41 »
keith,  a happy new year.

...kann mich diesen Worten "nur" anschließen ... :D

LG v. Druiden  :musik :musik

Offline ganter

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #208 am: 18. Dezember 2013, 22:15:10 »
dito
"Männer definieren sich sowieso nicht über die Drogeneinwurfmenge."
"Im Vergleich zur bricom dürfte jede Wand einer öffentlichen Bedürfnissanstalt ein Quell unendlicher Weisheit sein...."
Bodo

Offline Unikum

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Re: nett geschrieben - nett zu lesen
« Antwort #209 am: 19. Dezember 2013, 15:41:17 »
irgendwie gealtert isser ja nicht, der sah oberhalb des Halses schon immer aus wie ne Panzerkettenspur.

HGW
Früher war alles besser, sogar die Höhlen waren größer.

Wer, wenn nicht ich?