Das kann man in der Gegenwartsgesellschaft wohl kaum noch ernsthaft als tragenden Grund angeben, weshalb sich Menschen heutzutage mit Religion beschäftigen.
Tu ich auch nicht. Dein Argument war, daß sich mit den vorherrschenden Religionen quasi die Spreu vom Weizen getrennt hat. Mein Argument ist, daß diese Ausbreitung vor allem kriegerisch war und kein Qualitätskriterium. Heute, wo die weniger bedeutsam ist, bekommen auch wieder andere Religionen und esoterische Strömungen (falls man den Unterschied machen will) einen Fuß in die Tür. Selbst die Corona-Leugner basteln sich gerade ihre Religion abseits von Christentum und Islam.
Um den Neo-Atheismus der letzten Jahrzehnte ist es ja auch entsprechend ruhig geworden, denn die aus dieser Richtung propagierte "moderne", weil komplett säkularisierte Gesellschaft ist bisher nicht eingetreten, sie gibt es schlicht nicht und starke Tendenzen dahin sind auch nicht erkennbar.
Die Anti-Aufklärung ist eben stark. Auch das ist kein Qualitätskriterium.
Das dazu bemühte platte Narrativ der Neu-Atheisten vom leichtgläubigen und einfältigen Religiösen ist schlicht an der Realität des massiv gestiegenen Grades an Schulbildung und akademischer Bildung in der Bevölkerung gescheitert.
Wenn ich die Taliban sehe, dann bestätigt das meine Thesen: Religion ist Machtinstrument und da stark, wo Bildung schwach ist. Und das kann man durchaus verallgemeinern. Religion will Macht nicht nur in institutionalisierter Form durch die Beteiligung an der Staatsmacht, sondern ganz perfide auch noch über den einzelnen Menschen und dessen Lebensmodell und Anschauungen.
Wir sind halt nicht mehr im Mittelalter und volksübergreifende Dummheit oder Zwang taugen als Feindbilder für religiöse Aktivität kaum mehr, ...
Doch, sind wir. Guck nach Afghanistan, Iran, Saudi-Arabien oder die Evangelikalen in Südamerika und Afrika. Die stützen sich alle auf Zwang (staatlich oder durch die Gruppe), mangelnde Bildung und die Einfalt der Gläubigen. Erkläre mir mal, inwiefern die Zeugen Jehovas nicht mit Zwang arbeiten?
...wobei zu allen Zeiten ohnehin auch hochintelligente Menschen religiös waren.
Ein hochintelligenter Mensch hätte zu den meisten Zeiten nicht zugegeben, daß er nicht religiös ist. Dazu kommt, daß man sich von herrschenden Vorstellungen nicht einfach so verabschiedet, auch der Zweifel schon vorhanden ist. Dann rettet man sich noch eine Weeil in den Pantheismus. Das ist doch im Faust schön nachzulesen:
Margarete: Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.
Faust: Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ‘ ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
Margarete: Das ist nicht recht, man muß dran glauben.
Faust: Muß man?Ein aufgeklärter, gebildeter Mensch wendet sich von der Religion ab. Meinetwegen in verschiedenen Abstufungen über den pantheistischen Gott oder Gott als irgendeine universelle Kraft oder Intelligenz, um sich erst mal von diesen ganzen kindlich-naiven Dogmen zu verabschieden, die sich an einfältige Menschen richten (Jungfrauengeburt, Himmel, Hölle, Wiederaufstehung und diese ganzen Geschichten) ohne gleich alles zu verwerfen. Letztlich braucht man aber auch das nicht.
An dem Faust-Zitat sieht man, daß Goethe im Grunde schon nicht mehr viel mit anfangen konnte und ich denke, das sickert sickert seitdem auch bei anderen allmählich durch.
Man könnte die Frage ja auch mal andersrum stellen: Im Anfang ist erst mal keine Religion und kein Gott vorhanden. Die Menschen leben in den Tag hinein. Nun kommt einer daher und erzählt ihnen was vom Gott. Warum sollten sie dem glauben? Die Religionen bemühen dann gerne Wunder. Das dumme ist nur, daß immer nur davon erzählt wird. Und selbst wenn die Wunder real waren, gibt es keinen Hinweis, daß ein Gott dahintersteckt. Das ist auch wieder nur eine Behauptung. Gott müsste sich schon selber dafür verantwortlich erklären, aber wo ist er/sie/es? Der sich offenbarende Gott ist auch wieder nur Hörensagen. Man kommt immer wieder darauf zurück, daß sämtliche Indizien für eine Existenz irgendwie auf menschliche Erfindung, Erzählung und Literatur zurückgehen.