Autor Thema: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber  (Gelesen 596741 mal)

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Offline Araxes

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #555 am: 11. Oktober 2015, 21:45:49 »
An seine eigenen Erfahrungen? 1945 war der Krieg zu Ende und wenn ich auf den Kalender gucke, steht da 2015. Es ist seit 7 Jahrzehnten vorbei.

Mag ja sein, daß ihr nicht viel darüber redet oder geredet habt. Mag auch sein, daß man im Südwesten weniger vom Krieg mitgekriegt hat und dort auch die Vertriebenen vorrangig als lästige Einquartierungen empfunden hat.

Meine Eltern haben das noch selber miterlebt und erzählen bis heute davon. Jedes Mal, wenn die Generation sich trifft, dreht sich alles wieder um den Krieg, die Vertreibung aus Ostpreußen, da war meine Mutter betroffen, die Bombardierung von Dresden, zu dem Zeitpunkt war mein Vater von Frankfurt/Oder hinverschickt, mein Großvater, der von einer Bombe zerfetzt wurde, die Besatzung durch Russen und Amis. Die wurden das ein Leben lang nie los und haben zum Glück nicht einfach nur darüber geschwiegen.

Allerdings waren meine Großeltern auch keine Nazis, nicht in SA oder SS und auch nicht in der Armee (nur beim Volkssturm). Meine Eltern waren auch nicht in HJ oder BDM. Man hatte also nichts zu verschweigen.
« Letzte Änderung: 11. Oktober 2015, 21:49:59 von Araxes »

Offline Yossarian

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #556 am: 11. Oktober 2015, 21:57:23 »
Allerdings waren meine Großeltern auch keine Nazis, nicht in SA oder SS und auch nicht in der Armee. Meine Eltern waren auch nicht in HJ oder BDM.

Ab dem 9. Mai 1945 waren sie alle Widerstandskämpfer. Alle Nazis waren auf einmal spurlos verschwunden.

Von meinem Großvater mütterlicherseits weiß ich nicht, ob er in der Partei war. Er schwieg und beantwortete keine Fragen. Von Fotos weiß ich, daß er eine normale Wehrmachtsuniform trug, also wenigstens nicht in der SS war. Meine Großmutter war dienstverpflichtet und hielt auf dem hiesigen Wasserturm Ausschau nach alliierten Bombern auf dem Weg nach Frankfurt/M.; auch hier eine Wand des Schweigens über irgendwelche Verstrickungen. Meine Mutter ist 1934 geboren und war bei Kriegsende 11 Jahre alt. Es ist anzunehmen, daß sie ab ihrem 10. Geburtstag 1944 im Jungmädelbund war, so wie alle anderen auch.
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Offline Nikibo

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #557 am: 11. Oktober 2015, 23:12:58 »
Mag ja sein, daß ihr nicht viel darüber redet oder geredet habt.
Nicht so sehr viel. Mein Vater, 1915 geboren, starb schon 1980. Er war durch einen Unfall gehbehindert und wurde relativ spät wohl noch eingezogen. Ich glaube schon, dass sie Nazis waren; das schließe ich aus der ein oder anderen Bemerkung, die eher ungewollt an meine Kinderohren drang.
Ich weiß nicht, ob ich die Kraft hätte, mich einem solchen Regime zu widersetzen.





Mir ging es aber darum, dass Du angemerkt hattest, aufgrund der eigenen Erfahrungen zu helfen. Die Helfer mit den eigenen Erfahrungen dürften mindestens um die 80/90 Jahre sein.
« Letzte Änderung: 11. Oktober 2015, 23:25:15 von Nikibo »
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Offline moody

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #558 am: 12. Oktober 2015, 00:52:38 »
hab mal durchgefeudelt. Der kulinarische Teil ist hier
http://maennerboard.de/index.php?topic=3811.0
gelandet.

Offline Araxes

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #559 am: 12. Oktober 2015, 01:28:21 »
Ab dem 9. Mai 1945 waren sie alle Widerstandskämpfer. Alle Nazis waren auf einmal spurlos verschwunden.

Meine Großeltern waren keine Widerstandskämpfer, aber auch keine Nazis. Der eine Großvater war Geschäftsführer einer Firma. Die hatte das Problem, daß in der Geschäftsführung kein NSDAP-Mitglied war und deshalb einer eintreten mußte, weil sie Angst vor Enteignung hatten, wenn keiner drin ist. Wir wissen nicht genau, ob die Wahl auf ihn oder einen anderen fiel. Mein Vater hält es für möglich, aber Fakten haben wir nicht. Ansonsten hat er eben Kartoffeln verarbeitet.

Er war zu alt für die Armee. Später kam er dann zum Volkssturm am Ostwall. Das sind die Tunnel hinter der Oder - viel größer als die Maginot-Linie. Der Hauptmann hat den Kopf aus dem Ausgang gesteckt, der ihm sofort weggeschossen wurde. Sie sind dann hinter die Front geraten und er ist auf dem Rückweg von einer Granate getroffen worden. Meine Großmutter war Hauswirtschaftslehrerin und hat später die Bahnhofsmission geleitet.

Mein anderer Großvater war Sozialdemokrat und Beamter- Chef des Arbeitsamts in einer ostpreußischen Kleinstadt. Nach der Wahl 1933 hatten NSDAP-Leute die Hakenkreuzfahne auf dem Amt gehißt. Meine Großmutter meinte, der Lappen muß weg und mein Großvater hat sie mit der Begründung, daß da keine Parteifahne gehißt werden darf, abgenommen. Daraufhin ist er gefeuert worden und mußte die Stadt verlassen. Sie hatten noch eine Landwirtschaft. Da haben sie ihn in Ruhe gelassen. Bis er 1944 doch noch ins Gefängnis gekommen ist und erst durch Hilfe des Polizeichefs im Chaos der anrückende Russen rauskommen konnte. Diesem Mann hatte er mehr als 10 Jahre vorher einen Job als Hilfspolizist besorgt. Über den Draht konnte er auch schon in den Dreißigiern für einen jüdischen Nachbarn Papiere für die Ausreise nach Russland besorgen. Der Kontakt zu diesen besteht heute noch zu meinen Eltern. Das war in der DDR immer ein Problem. Die mochten keine Kontakte nach Israel. Meine Eltern waren beide nicht in den Jugendorganisationen. Von meiner Mutter weiß ich, daß mein Großvater sie nicht ließ. Mein Vater war vielleicht noch zu klein. Jedenfalls war er auch nicht drin.

Meines Großvaers  Entlassung unter den Nazis ist ihm in Westdeutschland immer vorgehalten worden. Dahin waren sie in den Fünfzigern ausgereist, nachdem er aus der SED geflogen ist. Ein guter Beamter wird nicht entlassen. Dort waren die Nazis alle noch im Amt.

Und meine Mutter wußte als Zehnjährige ganz genau, daß im KZ Menschen ermordet werden. Sie hat aber auch gesehen, wie eine Frau, die Brot "fallenließ", sofort mitgenommen wurde. Sie wußte, daß ihre Eltern heimlich BBC hören und daß das gefährlich war und daß man wegen den Nazi-Nachbarn aufpassen mußte. Sie hat auch mitgekriegt, wie die jüdischen Nachbarn deportiert wurden. Sie sagt heute, wer hinterher behauptete, nichts gewußt zu haben, lügt einfach. Sie hat schon als Kind das meiste gewußt. Sie erzählt noch die Geschichte von dem alten jüdischen Mann aus der Straße, der am nächsten Tag zum Sammelpunkt sollte und ihr noch mal die Hand schütteln wollte. Sie war dann zu schüchtern und hat die Hände versteckt. Das verfolgt sie bis heute.

Für die Landwirtschaft bekamen sie irgendwann eine polnische Zwangsarbeiterin zugeteilt. Die war knapp 20. Die durfte mit der Familie essen und meine Oma hat sie manchmal ins Kino mitgenommen. Das war natürlich nicht erlaubt und ging so lange, bis eine Nazi-Nachbarin sie verpetzt haben. Das Mädchen mußte woanders hin und sie verloren sich aus den Augen. Vor ein paar Jahren ist der Kontakt wieder zustande gekommen und meine Eltern haben sie in Polen besucht. Das stand dann da sogar in der Zeitung.

Meine Mutter hatte immerhin zwei Tanten, die Hitler angebetet haben. Die waren einfach dumme Personen.
« Letzte Änderung: 12. Oktober 2015, 02:08:00 von Araxes »

Offline Araxes

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #560 am: 12. Oktober 2015, 01:42:35 »
Mir ging es aber darum, dass Du angemerkt hattest, aufgrund der eigenen Erfahrungen zu helfen. Die Helfer mit den eigenen Erfahrungen dürften mindestens um die 80/90 Jahre sein.

Ich meinte eher allgemein. Es steckt im Bewußtsein. Die Bilder von zerbombten Städten kennt jeder.

Offline Yossarian

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #561 am: 12. Oktober 2015, 08:20:59 »
Meine Großeltern waren keine Widerstandskämpfer, aber ...

Jetzt krieg Dich mal wieder ein. Du brauchst hier nicht Deine gesamte Familiengeschichte darzulegen.

Letztendlich kommt es nicht auf das an, was unsere Eltern und Großeltern getan haben, sondern auf das, was wir tun.
« Letzte Änderung: 12. Oktober 2015, 08:46:24 von Yossarian »
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Offline Yossarian

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #562 am: 12. Oktober 2015, 08:22:38 »
Ich weiß nicht, ob ich die Kraft hätte, mich einem solchen Regime zu widersetzen.

Das ist wieder eine ganz andere Frage. man kann es für sich nur hoffen.
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Offline Yossarian

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #563 am: 12. Oktober 2015, 08:27:20 »
Meines Großvaers  Entlassung unter den Nazis ist ihm in Westdeutschland immer vorgehalten worden. Dahin waren sie in den Fünfzigern ausgereist, nachdem er aus der SED geflogen ist. Ein guter Beamter wird nicht entlassen. Dort waren die Nazis alle noch im Amt.

Zu dem Thema kann ich dringend den Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" empfehlen, den ich am Samstag gesehen habe. Der beschreibt sehr gut die Seilschaften der alten Nazis in den 50ern und frühen 60ern, und wie man denjenigen, die nicht Nazis waren, das Leben schwer machte.
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Offline Nikibo

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #564 am: 12. Oktober 2015, 09:24:25 »
Dazu kommt noch das Paradoxon, sich darüber zu mokieren, dass man wegen der deutschen Vergangenheit ungerechtfertigt die Nazierbschuld angehängt bekommen könnte , aber gleichzeitig dem Großteil seiner Mitmenschen zuzutrauen, dass sie jetzt genau das, nämlich Nazis werden könnten.
Ich traue niemanden zu, dass er das bewusst werden will. Aber solche Geschehnisse können dazu führen, dass Parteien wie die AfD wesentlich mehr Zulauf bekommen. Der Mensch ist erst einmal egoistisch. Man wählt das vermeintlich kleinere Übel mangels Alternativen in der Hoffnung, dass es schon gut gehen wird.
Darin sehe ich schon eine Gefahr.
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Offline marple

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #565 am: 12. Oktober 2015, 09:47:01 »
Töchting hat mir gestern ein Filmchen zur Flüchtlingssituation geschickt.

http://www.vagabomb.com/The-Syrian-Refugee-Crisis-Explained-Perfectly-With-a-Simple-Animation-Video/

Offline Yossarian

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #566 am: 12. Oktober 2015, 09:49:14 »
Ich traue niemanden zu, dass er das bewusst werden will.

Ich glaube, eine politische Überzeugung kann man sich nicht bewußt zulegen.

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #567 am: 12. Oktober 2015, 10:41:01 »
Töchting hat mir gestern ein Filmchen zur Flüchtlingssituation geschickt.

Nett gemacht. Immer wieder überraschend zu sehen, daß die arabische Welt 0 (null) Flüchtlinge aufnimmt.  :kotz
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Offline Gianluca

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #568 am: 12. Oktober 2015, 10:51:06 »
Nett gemacht. Immer wieder überraschend zu sehen, daß die arabische Welt 0 (null) Flüchtlinge aufnimmt.  :kotz
Die arabische Welt hat Angst vor dem naechsten Fruehling. Die, die da fluechten, sprechen arabisch, sind aber, im Gegensatz zu manch anderen Laendern in der arabischen Welt, aufgeklaerter und mit Befehlen und Handlungsweisungen von Obrigkeiten nicht mehr einverstanden. Warum sollen die sich die Leute ins Land holen, die moeglicherweise fuer Unruhe sorgen?
Die Leute mit "wichtigen" Berufen (Aerzte, Ingenieure, Anwaelte und Professoren) und Geld sind schon frueh genug hierher gekommen.
Ich hatte mal einen Sixpack - steht mir nicht!

Offline Mattieu

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Re: Flüchtlinge, Auswanderer, Asylbewerber
« Antwort #569 am: 12. Oktober 2015, 11:08:03 »
Jetzt krieg Dich mal wieder ein. Du brauchst hier nicht Deine gesamte Familiengeschichte darzulegen.

Lass ihn mal. Ich finde es sehr interessant, zumal mir das Erleben aus ostdeutscher Sicht noch fremder ist als das auch nur aus Erzählungen bekannte westdeutsche.
Scheiße ist, wenn der Furz was wiegt.