Autor Thema: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...  (Gelesen 252758 mal)

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Offline marple

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #360 am: 05. Oktober 2018, 13:30:27 »
Dann gehörst du zu den Menschen, die Atheisten sind, aber gerne an Gott glauben möchten.

Atheist ja. Ich "möchte" nicht an Gott glauben und tue es auch nicht . Ich erkenne aber die Vorstellungskraft als Schöpfer an.


In diesem Sinne ist Dostojewski einer der großen Schöpfer.
« Letzte Änderung: 05. Oktober 2018, 13:35:23 von marple »

maxim

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #361 am: 05. Oktober 2018, 14:51:36 »
Nicht Sartre. Dostojewski - Briefe

Nicht in diesem Sinne "erlaubt". Gesetze sind nicht die letzte Instanz. Die Perspektive ist auf den Einzelnen gerichtet. "Mir" ist alles erlaubt.



Offline Yossarian

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #362 am: 05. Oktober 2018, 15:15:56 »
Der Hamburger Philosoph Herbert Schnädelbach bezeichnet sich selbst als „frommen Atheisten“. Er zeigt Respekt vor dem Glauben anderer. Um moralisch zu handeln, brauche man aber kein höheres Wesen. Der Dostojewski-Ausspruch „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt“, ist für Schnädelbach falsch:  „Ein Kollege hat angeregt, diesen Satz auf die Liste der dümmsten philosophischen Sprüche zu setzen. Und zwar ganz oben. Er ist wirklich absurd. Denn das Dumme ist, selbst wenn es Gott nicht geben sollte, darf ich nicht bei Rot über die Ampel fahren, Steuern hinterziehen oder meine Frau schlagen, sollte mir das physisch überhaupt möglich sein.“  Alle Menschen lebten in einem mehr oder weniger festen Sitten-, Moral- und Wertegefüge, das klar mache, was erlaubt sei und was eben nicht. Es reiche die Orientierung an der Vernunft und dem eigenen Gewissen.

Marples Vermutung, wo der Satz herkommt, ist nicht falsch. Sartre bezieht sich dabei allerdings explizit auf Dostojewski:

“Dostojewskij hatte geschrieben: 'Wenn Gott nicht existierte, so wäre alles erlaubt.' Das ist der Ausgangspunkt des Existentialismus. In der Tat, alles ist erlaubt, wenn Gott nicht existiert...” Die Konsequenz der Gottesleugnung ist die Unmöglichkeit, den Begriff des Wertes als eines in sich sein sollenden Guten und als Quelle aller Normativität aufrechtzuerhalten: “Wenn wiederum Gott nicht existiert, so finden wir uns keinen Werten, keinen Geboten gegenüber, die unser Betragen rechtfertigen. So haben wir weder hinter uns noch vor uns, im Lichtreich der Werte, Rechtfertigungen oder Entschuldigungen” (Jean-Paul Sartre: L’existentialisme est un Humanisme)
Hab ich auch erst zusammengooglen müssen, hier ist die Quelle. Der Rest ist das übliche katholische Gesabbel.
« Letzte Änderung: 05. Oktober 2018, 15:23:34 von Yossarian »
"I came to a point where I needed solitude and just stop the machine of thinking and enjoying what they call living, I just wanted to lie in the grass and look at the clouds."

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Offline Yossarian

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #363 am: 05. Oktober 2018, 15:33:56 »
Ich würde zur Vertiefung gerne auf diesen Artikel in der Stanford Ecyclopedia of Philosophy hinweisen:  Atheism and Agnosticism.

Überhaupt kann die die Stanford Enyclopedia of Philosophy nur jedem ans Herz legen, der sich mit dem Thema beschäftigt.
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maxim

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #364 am: 05. Oktober 2018, 15:57:47 »
Nur dass das feste Sitten-,  Moral-, und Wertesystem, was angeblich für alle gilt, für einige hochangesehene Persönlichkeiten der Geschichte und Gegenwart nicht bindend ist/war. Es steht also jedem frei, es abzulehnen.

Offline Yossarian

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #365 am: 05. Oktober 2018, 16:14:56 »
Nur dass das feste Sitten-,  Moral-, und Wertesystem, was angeblich für alle gilt, für einige hochangesehene Persönlichkeiten der Geschichte und Gegenwart nicht bindend ist/war.

So wie für alle anderen auch, die den Arsch in der Hose hatten / haben, sich darüber hinwegzusetzen.

(Als würden sich "einige hochagesehene Persönlichkeiten" des Klerus einen Scheiß um die von ihnen gepredigte Moral kümmern.  :.) )

Zitat
Es steht also jedem frei, es abzulehnen.

So wie es jedem freisteht, sich eine x-beliebige Religion auszusuchen oder auch gar keine.

Dieser ganze Moral- und Ethikscheiß erinnert mich an die Diffamierung der Epikureer als sabbernde, morallose Lüstlinge, vorgetragen von vor Neid grünen, sabbernden, ihre verlogene Moral vorschiebenden "guten Bürgern".

Wenn Groucho Marx damals schon gelebt hätte, wäre er Epikureer gewesen und hätte seinen berühmten Spruch "Was immer Sie sich in Ihrer Phantasie vorstellen: Hinter dieser Tür passiert es." in großen Lettern als Schild am Eingang des Kepos aufgehängt.
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maxim

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #366 am: 05. Oktober 2018, 20:44:20 »

Dieser ganze Moral- und Ethikscheiß erinnert mich an die Diffamierung der Epikureer als sabbernde, morallose Lüstlinge, vorgetragen von vor Neid grünen, sabbernden, ihre verlogene Moral vorschiebenden "guten Bürgern".
Erkennt ihr Epikureer euch, wenn ihr euch auf der Straße begegnet ? Das würde doch das Gemeinschaftsgefühl stärken.
Ihr könntet z.B. barfuß durch die Stadt gehen, oder eine Kutte tragen.

Zitat
Wenn Groucho Marx damals schon gelebt hätte, wäre er Epikureer gewesen und hätte seinen berühmten Spruch "Was immer Sie sich in Ihrer Phantasie vorstellen: Hinter dieser Tür passiert es." in großen Lettern als Schild am Eingang des Kepos aufgehängt.

Ratio und Humor, ein Thema worüber ich gern eigene Forschungen anstellen würde, wenn ich nicht mehr alle 5 Minuten gestört werden würde. Was sagt Epikur dazu, oder die Stoiker ? 

« Letzte Änderung: 05. Oktober 2018, 20:45:58 von maxim »

Offline Yossarian

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #367 am: 05. Oktober 2018, 20:47:11 »
Legendärer atheistischer Gottesbrief wird versteigert.


Der Brief im Originalwortlaut:

Princeton, 3.1. 54

Lieber Herr Gutkind!

Angeregt durch wiederholte Anregung (Aufforderungen) Bouwers habe ich in den letzten Tagen viel gelesen in Ihrem Buche, für dessen Sendung ich Ihnen sehr danke. Was mir dabei besonders auffiel war dies. Wir sind einander inbezug auf die faktischen Einstellung zum Leben und zur menschlichen Gemeinschaft weitgehend identisch: Ihr Ideal mit dem Streben nach Befreiung vom ich-gesteuerten Wünschen, Streben nach Verschönerung und Veredelung des Daseins mit Betonung des rein Menschlichen, wobei das leblose Ding nur als Mittel anzusehen ist, dem keine lohnenswerte Funktion angerechnet werden darf (Diese Einstellung ist es besonders, die uns als echt "unamerican attitude" verbindet.)

Trotzdem hätte ich mich ohne Brouwers Ermunterung nie dazu gebracht, mich irgendwie eingehend mit Ihrem Buch zu befassen, weil es in einer für mich unzugänglichen Sprache geschrieben ist. Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger aber doch reichlich primitiver Legenden. Keine noch so feinsinnige Auslegung kann (für mich) etwas daran ändern. Diese verfeinerten Auslegungen sind naturgemäss höchst mannigfaltig und haben so gut wie nichts mit diesem Urtext zu schaffen. Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Incarnation des primitiven Aberglaubens. Und das jüdische Volk, zu dem ich gerne gehöre und mit dessen Mentalität ich tief verwachsen bin, hat für mich doch keine andersartige Dignität als alle anderen Völker. Soweit meine Erfahrung reicht ist es auch um nichts besser als andere menschliche Gruppen wenn es auch durch Mangel an Macht gegen die schlimmsten Auswüchse gesichert ist. Somit kann ich nichts "Auserwähltes" an ihm wahrnehmen.

Überhaupt empfände ich es schmerzlich, dass Sie eine privilegierte Stellung beanspruchen und sie durch zwei Mauern des Stolzes zu verteidigen suchen, eine äussere als Mensch und eine innere als Jude. Als Mensch beanspruchen Sie gewissermassen einen Dispens von der sonst akzeptierten Kausalität, als Jude ein Privileg für Monotheismus. Aber eine begrenzte Kausalität ist überhaupt keine Kausalität mehr, wie wohl quasi unser wunderbarer Spinoza mit aller Schärfe erkannt hat. Und die animistische Auffassung der Naturreligionen ist im Prinzip durch Monopolisierung nicht aufgehoben. Durch solche Mauern können wir nur zu einer gewissen Selbsttäuschung gelangen; aber unsere moralischen Bemühungen werden durch sie nicht gefördert. Eher das Gegenteil.

Nachdem ich Ihnen nun ganz offen unsere Differenzen in den intellektuellen Überlegungen ausgesprochen habe, ist es nun doch klar, dass wir uns im Wesentlichen ganz nahe stehen. nämlich in den Bewertungen menschlichen Verhaltens. Das Trennende ist nur intellektuelles Beiwerk oder die "Rationalisierung" in Freud'scher Sprache. Deshalb denke ich, dass wir uns recht wohl verstehen würden, wenn wir uns über konkrete Dinge unterhielten.

Mit freundlichem Dank und besten Wünschen,

Ihr

A. Einstein.
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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #368 am: 05. Oktober 2018, 20:54:36 »
Erkennt ihr Epikureer euch, wenn ihr euch auf der Straße begegnet ? Das würde doch das Gemeinschaftsgefühl stärken.

Ja, wenn wir in unserem Gegenüber einen Gleichgesinnten vermuten, malen wir im Gespräch scheinbar beiläufig einen Darwin-Fisch in den Sand.  8)

Zitat
Ihr könntet z.B. barfuß durch die Stadt gehen, oder eine Kutte tragen.

Ich habe früher gerne Toga getragen, wenn Dir das hilft, Dein Weltbild zu stützen.

Zitat
Ratio und Humor, ein Thema worüber ich gern eigene Forschungen anstellen würde

Das wäre ein sehr lohnendes Unterfangen. Wenn Du auf dem Autohof die anderen Trucker therapierst, brauchst Du mit Sicherheit jede Menge Humor.

Zitat
Was sagt Epikur dazu, oder die Stoiker ?

Wenig. Leider ist das gesamte Philosophenpack ziemlich humorlos, obwohl denen ein bißchen Lachen manchmal ganz gut täte.

Edit:

Auf die Schnelle.

Ich fürchte, daß die Humoristen bessere Philosophen sind als die Philosophen Humoristen. Wer, außer einem Humoristen (Chaval), könnte einen so philosophischen Satz prägen wie "Humor ist die Höflichkeit der Verzweiflung".

Edit 2:

Und wieder Stanford.
« Letzte Änderung: 05. Oktober 2018, 21:02:23 von Yossarian »
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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #369 am: 05. Oktober 2018, 21:31:29 »
Nicht Sartre. Dostojewski - Briefe

Boah! Weiß ich doch! Aber Sartre war von Dostojewskis These inspiriert. Lies Sartre dazu.

Offline marple

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #370 am: 05. Oktober 2018, 21:49:34 »
Nicht in diesem Sinne "erlaubt". Gesetze sind nicht die letzte Instanz. Die Perspektive ist auf den Einzelnen gerichtet. "Mir" ist alles erlaubt.

Das war es schon immer. Sofern der Einzelne die Konsequenzen ertragen möchte.

In diesem Sinne kann ich mich nicht entscheiden, ob ich lieber zur Salzsäule erstarren, gestreckt und gevierteilt oder auf dem elektrischen Stuhl verenden würde.

Interessanter Weise ist es aber nicht die Angst vor Instanzen, die die meisten Menschen von Tötungen abhält. Es gibt genug Studien darüber, dass die meisten Morde in Ländern geschehen, die noch die Todesstrafe verhängen.

Wenn man den Gedanken weiterspinnt und in Todesstrafen das "Auge um Auge" sieht, ist es auch nicht die Bibel, die Morde verhindert oder verringert.




Edit: Um nochmal auf Dostojewski zurückzukommen - Raskolnikow scheitert mit seiner Attitüde ihm sei auch Mord erlaubt, letztendlich an der höheren Intelligenz seines Häschers Porfirij und nicht an Gott und seinesgleichen.
« Letzte Änderung: 05. Oktober 2018, 21:53:24 von marple »

maxim

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #371 am: 05. Oktober 2018, 21:54:38 »
Boah! Weiß ich doch! Aber Sartre war von Dostojewskis These inspiriert.
Ich mag lieber das Original.

Zitat
Lies Sartre dazu.
Never ever. Ich habe schließlich eine Seele, die verdorben werden kann. 

maxim

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #372 am: 05. Oktober 2018, 22:00:17 »

Edit: Um nochmal auf Dostojewski zurückzukommen - Raskolnikow scheitert mit seiner Attitüde ihm sei auch Mord erlaubt, letztendlich an der höheren Intelligenz seines Häschers Porfirij und nicht an Gott und seinesgleichen.

Er scheitert an sich, weil er nicht dafür gemacht ist, zu morden. Ausserdem findet er Erlösung in der Beziehung einer jungen Frau, die überaus gottesfürchtig ist.

Ich werde jetzt unterbrochen. Da kommt noch was dazu.


Offline marple

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #373 am: 05. Oktober 2018, 22:12:18 »
Er scheitert an sich, weil er nicht dafür gemacht ist, zu morden. Ausserdem findet er Erlösung in der Beziehung einer jungen Frau, die überaus gottesfürchtig ist.

Er scheitert, weil er in die intellektuelle Ecke getrieben wird. Sofja überzeugt ihn zur Aufgabe und wandelt später seine Weltsicht. Aber die religiöse Wandlung geschieht erst nach der Verurteilung. So, wie es mit Dostojewski selbst geschehen ist.

Aber darum ging es mir nicht. Es ging darum, dass Raskolnikow sein "moralisches Recht als Überlegener" nicht gegen Porfirij verteidigen konnte. Und Porfirij war die weltliche Instanz.

maxim

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Re: Thema Religion allgemein und Religion in der Familie...
« Antwort #374 am: 06. Oktober 2018, 12:25:29 »
Obgleich ich die Figur Porfirijs interessant fand, sehe ich seinen Beitrag zum Geständnis Raskolnikovs weniger bedeutsam an. Nach dem Mord findet sein Gewissen gar keine Ruhe mehr. Nicht unbedeutsam ist auch, dass er noch eine zufällige Zeugin umbringt. Und nicht zuletzt die Bekanntschaft mit diesem jungen frommen Mädchen, der er den Mord gesteht und ihn überzeugt, sich zu stellen. Es wäre sonst etwas widersprüchlich, wenn er vor der weltlichen Instanz kapitulierte, um von der religiösen erlöst zu werden.