Meine älteste Freundin ist mit 46 in Frührente gegangen. Und sie ist auch der Fall, der deinem erschreckend ähnlich ist.
Diffuse Ängste hatte sie schon in der Schule. Bei jeder Anforderung bekam sie Durchfall und blieb zu Hause. Vor den Abschlussprüfungen fuhr sie mit dem Fahrrad in eine Baugrube und brach sich die Hüfte. Ich bin bis heute überzeugt, dass das kein Zufall war. Zudem war sie schon immer ein ausgemachter Messi und bei jeder Arbeit unmotiviert.
Das war der Urzustand.
Ein relativ normales Leben hatte sie das letzte mal vor etwa 30 Jahren, also mit 20. Damals trennte sich ihr finanziell gestellter Freund von ihr.
Jeder Freund, der danach kam - und es gab viele, war finanziell eher schwach. Das sah sie, die selber nur Hilfsjobs ausüben könnte und aus einer armen Familie kam, als unerträglich an.
Sie musste auch arbeiten, wenn sie einen Freund hatte. Unglaublich.
Und so kam ein gesundheitliches Problem nach dem anderen dazu. Die Freunde flohen immer recht schnell.
Bis sie an den jetzigen geriet, vor über 20 Jahren. Seit dem macht sie sich in zunehmender Geschwindigkeit immer abhängiger von ihm. Nacheinander gingen folgende Dinge nicht mehr - ausgehen (zu viele Leute), öffentliche Verkehrsmittel ( da gibt's kein Klo), selber Autofahren (Angstzustände), aufräumen (zu anstrengend), Arbeiten (psychisch nicht verkraftbar), allein einkaufen (Angstzustände), Dinge regeln (zu schwer), allein das Haus verlassen, allein aufstehen, allein ihre Stützstrümpfe anziehen...
Die Liste ist lang. Sie schläft nachts kaum, steht dann erst um 16 Uhr auf. Vor zwei Jahren war es noch 14 Uhr. Im Prinzip sitzt sie nur oder liegt. Sie ist extrem übergewichtig geworden und kann sich nur noch schwer bewegen. Wobei sie immer Ursache und Wirkung verwechselt - sie hat sich selber fett und schlaff gemacht. Ich behaupte - mit voller Absicht. Ihr Freund ist ihr Sklave. Und da er keine Alternative als den Unterschlupf bei ihr hat, ist er diese Symbiose eingegangen. Mittlerweile darf auch er nicht mehr jobben gehen, dass ist Verrat an ihr, er weiß doch, dass sie nicht alleine sein kann!!!
Therapien -oh klar, die hat sie durchgehend seit dreißig Jahren. Teilweise bei mehr als einem Therapeuten.
Erfolge? Dass ich nicht lache. Sie baut sich ja immer mehr ihre Angsthöhle gemütlich aus. Und solange da keiner ist, der mal auf den Tisch haut, ist sie die Queen, die alles bestimmt: den Tagesablauf, dass Essen (Unverträglichkeiten), den Zustand der Wohnung, die Zeit des Partners. Wenn irgendetwas nicht ihren Vorstellungen entspricht, schreit sie, schlägt auch mal gerne und muss anschließend besonders ausdauernd gepflegt und gehegt werden. Zudem hat sie dann ein neues Trauma, dass sich ausbauen lässt.
Ich Klinge vielleicht gemein. Mag sein, dass ich es bin. Aber ich bin die einzige, die ihr Contra gibt und einfach den Vogel zeigt und erstaunlicherweise kann sie dann kurzzeitig Dinge, zu denen sie angeblich seit Jahren nicht in der Lage ist. Weil sie Angst vor mir hat. Oder Respekt. Oder weiß, dass ich ihr nicht glaube.
Allerdings gehöre ich jetzt seit etwa einem Jahr auch zu den Dingen, die sie abschaffen muss - ich habe ihrem Freund zu deutlich gesagt, wie ich die Sache sehe. Damit bin ich eine Gefahr.
Ich bin sicher, dass es wirklich erkrankte gibt. Natürlich. Und ich kann und will keine Ferndiagnosen stellen. Aber ich behaupte, dass es eine Dunkelziffer x gibt, die sich in Ängsten einrichten. Solange sie Unterstützer haben.
Und mal ehrlich,zur Zeit arbeite ich wieder täglich bis zu 18 Stunden ohne Wochenenden. Ich hätte jetzt auch gerne Macken und einen Pfleger dazu.