Ich glaube, da werden wir uns erst mal an der Begrifflichkeit des Tabus abarbeiten müssen.
Wenn Du den nämlich wirklich so weit faßt, dann kenne ich ein paar Leute, für die alles, was sich jenseits von Schnitzel mit Pommes befindet, ein echtes Tabu ist.
Man muß da schon unterscheiden zwischen der Weigerung, etwas Neues, Unbekanntes auch nur probieren zu wollen (was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht) und einem echten Tabu, bei dessen Übertretung einem schlimmes Übel droht (Hölle, Steuerfahndung, Besuch der Schwiegermutter etc.).
Die Abneigung gegen unbekanntes Essen kann ich mir noch irgendwie so erklären, daß Menschengruppen zu Jäger und Sammlerzeiten für sich einen Kanon von eßbaren Pflanzen und Tieren und nicht eßbaren Pflanzen und Tieren entwickelt haben. Nach dem 73. Todesfall in der Sippe, den man auf den Genuß eines unbekannten Pilzes zurückgeführt hat, wird man dazu geneigt haben, auf der sicheren Seite zu bleiben und nur das zu essen, was man als gebießbar kennt.
Mir fällt dazu etwas ein, was mein ansonsten eher mäßig intelligenter Großvater mütterlicherseits erzählt hat. Der ging nämlich gerne in die Pilze und brachte so einiges aus dem Wald mit. Manche Pilze rührte er aber nicht an, weil er gelernt hatte, daß die giftig oder zumindest ungenießbar seien. Als nach dem Krieg die Flüchtlinge kamen, zogen die natürlich auch auf der Suche nach Brennholz und Pilzen durch die hiesigen Wälder und kamen mit Pilzen raus, die mein Großvater immer stehengelassen hatte, weil es sie für nicht eßbar gehalten hatte.
Jetzt wird man nicht sagen können, daß mein Großvater und die anderen einheimischen Pilzsammler irgendein Pilztabu hatten, das sie befolgen mußten.
Ich erinnere mich da an so manche bruchstückhaften Szenen aus meiner Kindheit und Jugend, als mein Heimatort noch nicht zu einer der vielen Schlafstädte rund um Frankfurt/M. verkommen war, sondern durchaus noch ländliche Gegend war. So mit 15 oder so gab es bei uns einen Kiosk, bei dem es auch Pommes gab. Das war ein Novum in dem Kaff: Pommes mit Mayo oder Ketchup. Irgendwann stand ich da mal abends mit einem Kumpel rum, und wir bestellten uns jeder eine Tüte Pommes. Neben uns am Tresen stand ein älterer Typ mit einer Flasche Bier in der Hand und fing unaufgefordert an, auf uns einzureden, daß Pommes Frittes Dreck sei, den man nicht Essen könne. Hatte der Mann jetzt ein religiöses Frittentabu und versuchte, uns zu missionieren?