Autor Thema: Nahrungsmitteltabus  (Gelesen 15059 mal)

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Nahrungsmitteltabus
« am: 04. November 2015, 08:16:57 »
Ich lagere das Thema mal aus.

Neues aus dem kleinen gallischen Dorf vom Kirchenvorstand einer kleinen, den Anwesenden bekannten Kirchengemeinde aus dem Frankfurter Umland. Ein sehr engagierter ehrenamtlicher Helfer aus der örtlichen Flüchtlingsunterkunft berichtet genervt, die Flüchtlinge hätten sich darüber beschwert, daß ihnen das Essen nicht schmecke. Allgemeines Augenverdrehen ob der Anspruchshaltung; insbesondere, weil man sich eigentlich schon auf die Schulter geklopft hatte, weil man es geschafft hatte, von Anfang an nachweislich und ausschließlich Halal zu Kochen.

Ich habe meinem befreundeten Kollegen geraten, er solle den Ehrenamtlichen vorschlagen, in der Unterkunft ein zünftiges traditionelles Haxenessen abzuhalten, zur besseren Integration und zum Kennenlernen der Sitten und Gebräuche im Gastland.  :evil
"I came to a point where I needed solitude and just stop the machine of thinking and enjoying what they call living, I just wanted to lie in the grass and look at the clouds."

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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #1 am: 04. November 2015, 08:17:24 »
Catering in Flüchtlingsheimen ist ein Problem

Da finde ich ja eigentlich auch: es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Das Esse muß qualitativ gut sein, aber halal? Nicht so ganz einzusehen.
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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #2 am: 04. November 2015, 08:17:50 »
Natürlich. Das wär ja noch schöner.

Ich denke auch, da muß man die Kirche im Dorf lassen. Da werden Dinge verlangt, die überhaupt nicht mehr zu bewerkstelligen sind bei dem Andrang.
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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #3 am: 04. November 2015, 08:18:13 »
Wer Hunger hat, der fragt auch nicht mehr danach, ob die Wurstpakete halal sind. Es geht aber auch darum, den Leuten frühzeitig beizubringen, daß Religion Privatsache ist. Der Artikel hat Recht, wenn er sagt, die Leute sollen dann selber kochen, aber wenn es stimmt, daß sie das Geld stattdessen nach Hause schicken, ist der Zweck verfehlt.

4-5 Euro für Essen am Tag ist knapp, aber machbar, wenn man die Mengen bedenkt.
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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #4 am: 04. November 2015, 08:18:42 »
Und wenn er es doch tut, dann hält sich mein Mitgefühl und Verständnis in Grenzen.

Das wäre eine wichtige Lektion in Sachen Integration.

Du kannst aber in den Turnhallen und wo immer die Leute untergebracht sind, keine Spirituskocher an die Menschen verteilen. Das geht einfach nicht, und das müssen die Leute verstehen. Wenn meine Alternative zu "schlechtem Essen" die Rückkehr in ein Kriegsgebiet wäre, wäre ich wahrscheinlich in der Lage, so ziemlich alles zu essen.

Je mehr sie nach Hause schicken, desto weniger bleibt ihnen selbst für die eigene Ernährung. Das sind Entscheidungen von erwachsenen Menschen, die selbst wissen müssen, was sie tun.

Ich weiß es nicht auswendig und müßte erst nachsehen; aber der Tagessatz eines AlG2-Beziehers für Lebensmittel dürfte nicht höher sein, und der gemeine Hartz-IV-Bezieher hat nicht den Vorteil, in großen Mengen einkaufen zu können.

Edit: Keine 4,75 € kann der AlG2-Bezieher (west) täglich für Essen und alkoholfreies Trinken ausgeben.
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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #5 am: 04. November 2015, 08:19:07 »
Ich würde mich ungern öffentlich über die "Anspruchshaltung" erhitzen, bevor ich den Fraß nicht selber probiert hätte.

(Wer kennt noch Günther Schramms Nummer über das Essen im Altersheim?)
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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #6 am: 04. November 2015, 08:19:34 »
Essen als "Fraß" zu bezeichnen, ist pubertär, vor allem wenn es so gut ist, daß manch einer in ärmeren Regionen darüber glücklich wäre.

Im Artikel steht „Wir nehmen die Standardangebote der regionalen Anbieter, die auch Krankenhäuser und Pflegeheime beliefern. Dementsprechend beliebt ist das Essen.“

Scheint also nicht unzumutbar zu sein der "Fraß". Und dieses Appetito-Sachen kaufe ich selber auch. Das ist völlig in Ordnung.

Lustig finde ich den Nachsatz in diesem Zitat: „Es gibt aber überall Halal-Angebote, weil auch in Kliniken und Pflegeheimen der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund steigt. Man kocht heute ohnehin tabubezogen

Vegatarier, Veganer, halal, koscher, low-carb... Das Bohei um's Essen wird immer größer. Das ist doch alles nur noch neurotisch. Und damit meine ich nicht den Anspruch an gutes Kochen, sondern die tausend Befindlichkeiten und Extra-Ansprüche, die unsere wohlstandsgestörten Mitbürger mittlerweile haben.
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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #7 am: 04. November 2015, 08:20:36 »
Ich bin jetzt grade sehr unentschieden, ob ich über diesen Satz Lachen oder Weinen soll. Ist das hier wirklich das 21. Jahrhundert, in dem wir uns befinden?

Und anscheinend nicht nur die.
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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #8 am: 04. November 2015, 08:21:16 »
Es wird und wurde immer und überall tabubezogen gekocht.

Noch Spinne?
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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #9 am: 04. November 2015, 08:22:06 »
Ich glaube, da verwechselst Du was.
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Conte Palmieri

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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #10 am: 04. November 2015, 08:54:02 »
Ich glaube, da verwechselst Du was.
Der Witz an Tabus ist es ja gerade, dass die Leute sie dermaßen internalisiert haben, dass sie für Selbstverständlichkeiten gehalten werden. Tabus haben nur die anderen.

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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #11 am: 04. November 2015, 09:22:30 »
Ich glaube, da werden wir uns erst mal an der Begrifflichkeit des Tabus abarbeiten müssen.

Wenn Du den nämlich wirklich so weit faßt, dann kenne ich ein paar Leute, für die alles, was sich jenseits von Schnitzel mit Pommes befindet, ein echtes Tabu ist.

Man muß da schon unterscheiden zwischen der Weigerung, etwas Neues, Unbekanntes auch nur probieren zu wollen (was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht) und einem echten Tabu, bei dessen Übertretung einem schlimmes Übel droht (Hölle, Steuerfahndung, Besuch der Schwiegermutter etc.).

Die Abneigung gegen unbekanntes Essen kann ich mir noch irgendwie so erklären, daß Menschengruppen zu Jäger und Sammlerzeiten für sich einen Kanon von eßbaren Pflanzen und Tieren und nicht eßbaren Pflanzen und Tieren entwickelt haben. Nach dem 73. Todesfall in der Sippe, den man auf den Genuß eines unbekannten Pilzes zurückgeführt hat, wird man dazu geneigt haben, auf der sicheren Seite zu bleiben und nur das zu essen, was man als gebießbar kennt.

Mir fällt dazu etwas ein, was mein ansonsten eher mäßig intelligenter Großvater mütterlicherseits erzählt hat. Der ging nämlich gerne in die Pilze und brachte so einiges aus dem Wald mit. Manche Pilze rührte er aber nicht an, weil er gelernt hatte, daß die giftig oder zumindest ungenießbar seien. Als nach dem Krieg die Flüchtlinge kamen, zogen die natürlich auch auf der Suche nach Brennholz und Pilzen durch die hiesigen Wälder und kamen mit Pilzen raus, die mein Großvater immer stehengelassen hatte, weil es sie für nicht eßbar gehalten hatte.

Jetzt wird man nicht sagen können, daß mein Großvater und die anderen einheimischen Pilzsammler irgendein Pilztabu hatten, das sie befolgen mußten.

Ich erinnere mich da an so manche bruchstückhaften Szenen aus meiner Kindheit und Jugend, als mein Heimatort noch nicht zu einer der vielen Schlafstädte rund um Frankfurt/M. verkommen war, sondern durchaus noch ländliche Gegend war. So mit 15 oder so gab es bei uns einen Kiosk, bei dem es auch Pommes gab. Das war ein Novum in dem Kaff: Pommes mit Mayo oder Ketchup. Irgendwann stand ich da mal abends mit einem Kumpel rum, und wir bestellten uns jeder eine Tüte Pommes. Neben uns am Tresen stand ein älterer Typ mit einer Flasche Bier in der Hand und fing unaufgefordert an, auf uns einzureden, daß Pommes Frittes Dreck sei, den man nicht Essen könne. Hatte der Mann jetzt ein religiöses Frittentabu und versuchte, uns zu missionieren?
 

« Letzte Änderung: 04. November 2015, 10:28:00 von Yossarian »
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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #12 am: 04. November 2015, 10:13:00 »
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Offline marple

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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #13 am: 04. November 2015, 11:15:46 »
Wenn wir das bekannteste Nahrungsmitteltabu nehmen - die Heilige Kuh - verwundert es doch zumindest, dass Indien mittlerweile der größte Rindfleischlieferant ist.

http://m.welt.de/politik/ausland/article138554349/Wie-heilig-ist-das-Rindvieh.html

Die Wirtschaft wird Tabus über kurz oder lang eliminieren. Oder weltweit nivellieren.

Offline Yossarian

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Re: Nahrungsmitteltabus
« Antwort #14 am: 04. November 2015, 11:19:28 »
Die Wirtschaft wird Tabus über kurz oder lang eliminieren. Oder weltweit nivellieren.

Da bin ich mir nicht sicher. Tabus können bestimmte Wirtschaftszweige auch beflügeln. Metzgereien, die zertifiziert halal schlachten, dürften sich hierzulande im Aufschwung befinden.

Ansonsten wäre es endlich mal ein positiver Effekt eines freien Marktes, wenn Nahrungstabus zur Bedeutungslosigkeit verkommen.
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