Die Tage in Tirol bei der Familie waren wieder herrlich, obwohl das Herzblatt auch dieses Mal nur knapp an einer Spontanscheidung vorbeigekommen ist.
Das letzte Mal schleifte er mich mit kaputtem Knie statt des gewünschten leichten ("leicht" bedeutet nicht mehr als 10% Gefälle, Liebling) und kurzen ("kurz" bedeutet nicht mehr als eine (!) Stunde, Liebling) Weges über drei Gondelstationen (ich hab Höhenangst, Liebling! Nein, ich kann nicht da runter gucken, Liebling!) bis zum Gipfel des Gletschers in 3500 m Höhe.
Ich komme aus Wuppertal, unser höchster und als solcher nicht erkennbarer, weil nur sacht ansteigender Berg hat 129 m. Da braucht es im Winter bei uns schon Allrad! Und jetzt unvorstellbare 3500 m, erreicht in einem wackeligen voll verglasten Gefährt names Seilbahn, das der Teufel höchstpersönlich für Höhenängstler entworfen haben muss.
Von dem mehr als 5 (!)-stündigen Abstiegstolpern, teils auf allen Vieren, habe ich mir, beflügelt durch die Mitleidsbekundungen der uns im ersten Drittel entgegenkommenden Bergsteiger, die angesichts meines Knies meinem angetrauten Sklaventreiber noch eindringlich rieten, mich zur Gondel zurückzubringen, mindestens satte 2,5 Stunden mit wüsten Beschimpfungen gegen ihn vertrieben. Den Rest der Zeit habe ich über Shoppingtouren auf seine Kosten nachgedacht.
Danach war der Urlaub aber wieder ganz harmonisch und so im Nachhinein betrachtet, war es einer der schönsten Spaziergänge, die ich je gemacht habe. Also so landschaftsmässig gesehen.
Das war nun vier Jahre her. Meine Gelenke knacken und schmerzen mehr denn je in ungefähr in gleichen Verhältnis wie mein Gedächtnis nachlässt. Leider! Außerdem glaube ich ja immer noch an die Lernfähigkeit von Männern. Ich bin ja mit fast 60 immer noch so naiv!
Nun denn, es hieß dann vor einer Woche wieder: "Auf nach Tirol!" Neben meiner ausgeprägten Angst vor Autofahrten mit meinem Herzblatt bin ich ja nun auch noch Erdkundelegastheniker. Vor jeder Fahrt stehe ich also vor der Entscheidung, vor Angst unterwegs zu sterben, wenn er fährt oder galant das Ziel zu verpeilen, wenn ich fahre. Er gewinnt immer, alldieweil es mich auch ärgert, wenn er sich mit beiden Händen am Haltegriff festhält, nur weil ich mit 100 und 10 Wagenlängen Abstand durch die Gegend tuckere. Wie kann man sich nur so anstellen?!
Die ersten beiden Tage waren naßkalt, so dass wir erst am Montag den ersten schönen Spaziergang machen konnten und dabei feststellten, wie eingerostet wir doch schon sind. Bergauf hatten wir keine Luft, bergab knackten alle Knochen. Den o. a. Weg der Flüche schminkten wir uns daher gleich ab. Aber es gibt ja genug Auswahl im schönen Tirol!
Gitti, meine Lieblingsschwägerin, karrte uns also in die Nähe zum Haus Vogelnest und beschrieb dem da noch weltbesten Ehemann, wie wir wandern mussten. Kein anderer als mein Mann kann derart interessiert zuhören, wiederholen und darüber diskutieren ohne das Geringste davon aufzunehmen, geschweige denn, sich daran zu erinnern.
Kaum war der Wagen entschwunden und wir auf dem Weg, teilte mein Mann mir mit sorgenvoller Miene bedeutungsschwanger mit: "Du weißt aber schon, dass wir über eine sehr abenteuerliche Brücke wegen des Wasserfalls gehen müssen?!" Mir blieb augenblicklich in Erinnerung an den Weg der Flüche das Herz stehen! Ich dachte an Seilbrücken über tosenden Niagarafällen, an den Hund, der mir in bodenlose Tiefen unrettbar abstürzt und fing sofort an zu heulen.
Solchermaßen eingestimmt erreichten wir die Brücke. Die bestand aus rohen Holzstämmen, quer zur Schlucht und während ich noch davor stand und überlegte, ob ich überhaupt da drüber gehen kann bzw. will, latscht dieses Urgestein an Empathielosigkeit namens Ehemann wortlos an mir vorrüber und der blöde Köter hüpft lustig hinter ihm her. Also fasste ich mir ein Herz und betrat die Brücke und zwar nur wegen des Hundes! Das ging genau bis zur Mitte gut, danach war Schluss. Erstens schwankten die lose verlegten Mistbäume unter mir gewaltig und wenn ich keinen festen Boden unter den Füßen habe, spielt mein Kreislauf Roulette. Und genau vor mir war eine Lücke von mindestens 20 cm. Und danach noch eine Lücke und noch eine. Da konnte ich durchgucken! In den Abgrund! Geschätzt 10 m, gefühlt mindestens 1000 m! Was für eine perfide Idee, Lücken erst in der Mitte einzubauen! Ich stand wie angemeißelt und nix ging mehr, weder vor noch zurück. Das zweibeinige Monster kam samt Hund zurück, packte mich und schleifte mich über die Brücke. Das einzige, was ich währenddessen noch von mir geben konnte, war, dass ich ihn hinterherschmeiße, wenn der Hund abstürzt und ich jetzt sofort mobil geschieden werden will!
Drüben angelangt, stellten wir dann fest, dass wir gar nicht über die Brücke gemusst hätten. Er hat gar nicht erst versucht, mich nochmals über die Brücke zu zwingen, er ist auch gar nicht zu Wort gekommen. Wir sind dann durch den Fluss zurück und da ich wasserfeste Stiefel anhatte, hoffte ich nur rachsüchtig, dass seine Wanderschuhe im wadenhohen Wasser gründlich absoffen und er Blasen bis zum Hals schob.
Den Rest des Weges gingen wir mit mindestens 50 m Abstand, was einzig den Hund störte. Daheim angekommen, erfolgte beiderseitiges Wutpacken, die Abreise verlief aber irgendwie im Sande, vermutlich waren wir einfach zu erschöpft.
Im Kreise der ortskundigen Familie haben wir an den folgenden Tagen aber noch herrliche Spaziergänge gemacht und deshalb war es mal wieder ein wunderschöner Aufenthalt in Tirol. Unvergesslich ist er ja immer!