Autor Thema: egoistisch oder nett sein?  (Gelesen 6690 mal)

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Offline Araxes

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egoistisch oder nett sein?
« am: 13. Oktober 2018, 12:54:35 »
Ich bin seit 10 Jahren bei meiner Firma angestellt. Ich bin da immer recht zufrieden gewesen. Das Verhältnis zu Chef und Kollegen ist gut. Das Gehalt ist aber nie richtig gestiegen. Die Steigerungen lagen über die 10 Jahre unterhalb der Inflationsrate und deutlich unter den Abschlüssen im öffentlichn Dienst. Bei uns war das immer so alle zwei Jahre mal 1% bis 2.5% für alle. Mittlerweile bekommen ITler am Markt höhere Gehälter, wenn man ein bißchen sucht.

Ich arbeite aber seit 2,5 Jahren per Mitarbeiterüberlassung gar nicht mehr in unserer Niederlassung, sondern außerhalb beim Kunden vor Ort - nennen wir ihn mal Kunde A. Mein Chef will mich nun da abziehen, weil er einen anderen Kunden B hat, der deutlich mehr zahlt. Ich habe mich da auch schon vorgestellt und die wollen mich haben.

Kunde A ist nun nicht so glücklich, daß ich weggehe und bietet mir an, mich für einen üblichen Stundensatz als Freelancer weiterzubeschäftigen, was im Prinzip bedeutet, daß mein Netto fast doppelt so hoch ausfällt, selbst wenn ich meine KV- und Rentenbeiräge voll selber zahlen muß. Das wäre absehber auf 3-4 Jahre. Klar, unternehmerisches Risiko, Scheinselbständigkeit, irgendwann mal einen neuen Auftraggeber suchen müssen und die ganzen Problematiken muß man beachten. Ich muß Rechnungen stellen, Umsatzsteuervoranmeldungen machen und der ganze Kram - aber herrjeh, 3000 EUR netto mehr. Außerdem wäre ich da nicht der einzige Freelancer. Es gibt Pläne, daß wir uns zu mehreren zusammentun und eine GmbH gründen.

Wenn ich jetzt kündige, steht mein Chef blöd da, weil er dann Kunde B kurzfristig absagen muß. Das will ich ihm eigentlich nicht antun. Dazu kommt aber noch, daß unser Inhaber ziemlich überraschend beschlossen hat, die ganze Firma an einen großen Wettbewerber zu verkaufen. Der bekommt dafür sicher einen zweistelligen Millionenbetrag. Davon hätte man eigentlich einen Teil an die Mitarbeiter ausschütten können. Vielleicht kommt das noch als Weihnachtsüberraschung, aber bislang ist nichts angekündigt. Ich denke mir dann: wenn der die Firma verkloppt, dann kann ich eigentlich auch ganz egoistisch das durchziehen, was für mich am besten ist.

Jetzt mit der Kündigung auf dem Tisch bietet mir mein Chef eine Gehaltserhöhung, aber eher so im Bereich 300 - 400 Euro. Das erste Mal seit 10 Jahren, daß er mal richtig eine Schippe drauftut. Muß man dafür immer erst mit der Kündigung wedeln? Viel mehr kann er auch nicht bieten. Das Gehaltsgefüge erlaubt keine allzu großen Abweichungen. Die Erhöhung macht sich gegenüber dem möglichen Einkommen als Selbständiger ziemlich mickrig aus und irgendwie hat es mir noch nie gepasst, daß ich für 70-100 EUR pro Stunde "verkauft" werde und davon selber nur die Hälfte kriege. Außerdem hat er mich eindringlich gebeten, wenigstens noch Teilzeit bei Kunde B mitzumachen. Das Problem ist nur: Kunde A will mich sofort ganz haben. Also irgendwen muß ich nun enttäuschen.

Also was tun? Einmal Arschloch sein und die Nummer durchziehen oder nett sein und selber zurückstecken? Letzteres wäre immerhin auch die etwas bequemere Variante als Angestellter mit gewisser Absicherung, aber so viel besser wäre die auch nicht. Wenn man ernsthaft krank wird, fällt man auch als Angestellter irgendwann in die Erwerbsunfähigkeit.
« Letzte Änderung: 13. Oktober 2018, 13:21:26 von Araxes »

Offline DieFrau

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #1 am: 13. Oktober 2018, 13:16:14 »
Muß man dafür immer erst mit der Kündigung wedeln?

Leider ja. Ich kenne einige Beispiele, wo es nur so besser wurde.

Zur deiner Ausgangsfrage, schau was für Dich am besten ist. Auch ein guter Chef zieht nur Seinen Vorteil vor.
Mit nett sein kommst du nicht so weit wie du es gerne hast, Deswegen schalte den Chef und die Firma aus und auf die Waage stellst du nur das was für Dich wichtig ist.
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Offline marple

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #2 am: 13. Oktober 2018, 14:01:00 »
Ich würde Kunde A wählen.

Aber - tue es richtig. Hinterlasse keine verbrannte Erde. Geh taktisch klug und professionell vor.

5 Jahre nach meiner Kündigung wurde meine ehemalige Firma mein Hauptkunde und ist es bis heute.


Edit: es spricht auch bei dir nichts dagegen, wenn deine alte Firma dein Kunde wird.


Freelancer zu beauftragen ist manchmal günstiger als die Personalkosten eines Angestellten.
« Letzte Änderung: 13. Oktober 2018, 14:04:58 von marple »

Offline Araxes

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #3 am: 13. Oktober 2018, 14:24:12 »
Ich würde Kunde A wählen.

Aber - tue es richtig. Hinterlasse keine verbrannte Erde. Geh taktisch klug und professionell vor.

Deshalb versuche ich ja, alles abzuwägen. Ich habe auch vorgeschlagen, daß er mich an Kunde B vermitteln kann und dabei die Differenz des Stundensatzes für meine alte Firma vereinnahmt. Geht angeblich nicht, weil der Kunde als Arbeitnehmerüberlassung nur festangestellte Mitarbeiter akzeptiert. Das ist ein bißchen merkwürdig. Ich wäre dann auch immer noch in der Klemme, daß Kunde A mich nicht teilweise abgeben will. Es wäre aber gut für mich, um Scheinstelbständigkeit zu vermeiden. Mit zwei Kunden ist da man fein raus.

Zitat
Freelancer zu beauftragen ist manchmal günstiger als die Personalkosten eines Angestellten.

Ich denke, Freelancer kommen etwas teurer, aber nicht viel, was dann auch die Motivation zur Eindämmung von Scheinselbständigkeit etwas ins Gegenteil verdreht. Eigentlich sollen damit Mitarbeiter vor Ausbeutung geschützt werden. In der IT ist es aber so, daß man als (Schein)selbständiger einen deutlichen Sprung nach oben macht. Da gehen die Stundensätze mitunter Richtung 100 EUR.

Ein anderer Grund für das Anheuern von Freelancern ist aber, daß man manche Aufträge nicht annehmen kann, ohne mit Externen aufzustocken. Wir hatten immer mal wieder in Projekten a 3 Leute noch einen Externen dabei. Manchmal für ein paar Monate, manchmal für Jahre. Der "Ausgebeutete" ist dann nicht der Externe, sondern der Interne. Für den Externen fällt deutlich mehr ab.

Offline marple

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #4 am: 13. Oktober 2018, 14:43:01 »
Ich verstehe den Hackmack mit Scheinselbstständigkeit eh nicht. Meine alte Firma würde für meinen Tätigkeitsbereich keine Stelle schaffen.

Aber da ich nebenbei immer noch paar Kleinstkunden für Textil- und Autobeschriftungen hatte, war das nie mein Problem.

Seit vorigem Jahr eh nicht mehr, weil ich jetzt für alle Wettbewerber die Arbeit mache. Die haben einfach Endkunden der ersten Firma angerufen und gefragt, wer die Produktion gemacht hat. So sind alle ohne mein Zutun bei mir gelandet.

Ja, Selbstständige haben auch Probleme und ich war lange Jahre knapp bei Kasse. Aber ich würde es wieder so tun.

Offline Yossarian

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #5 am: 13. Oktober 2018, 15:16:06 »
Check mal Deinen Vertrag nach Wettbewerbsverboten.
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Offline Araxes

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #6 am: 13. Oktober 2018, 16:55:20 »
Check mal Deinen Vertrag nach Wettbewerbsverboten.

Ist nichts drin.

Offline Kulle

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #7 am: 13. Oktober 2018, 19:47:06 »
..... Es wäre aber gut für mich, um Scheinstelbständigkeit zu vermeiden. Mit zwei Kunden ist da man fein raus.
......
Das wäre doch ein recht gutes und vernünftiges Argument für A mit dir zu arbeiten. Und dein alter Chef wäre nicht komplett sauer auf dich weil B ja was davon hat. Wenn ihr Freelancer bei A euch dann als GmbH zusammenschließt könnt ihr dann B auch besser betreuen. Was auf der Strecke bleibt ist deine alte Firma.

Offline nigel48

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #8 am: 14. Oktober 2018, 00:04:05 »
glaubst du, dass irgendjemand rücksicht auf deine interessen nimmt?
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Offline Nikibo

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #9 am: 14. Oktober 2018, 09:46:27 »
Als Arbeitnehmer verkaufst Du Deine Arbeitskraft zu möglichst angenehmen Bedingungen und bestmöglichem Preis.
Wenn Deine Arbeitsstelle auch bisher angenehm war, so weißt Du nicht, was Dich nach dem Verkauf dort erwartet, wobei ich auch nicht wirklich der Freund von Selbstständigkeit bin.
Ich würde noch einmal mit dem Chef reden und eine größere Gehaltserhöhung ansprechen. Das mit dem Gehaltsgefüge ist doch immer dieselbe Ausrede. Wenn ihr gute Umsätze hat, kann er mehr zahlen.
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Offline Gianluca

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #10 am: 14. Oktober 2018, 20:35:31 »
Wir zahlen z.B. Prämien an unsere Projektleiter sofern das Projekt mit guten Zahlen abgeschlossen wurde - kann von den Büroleitern aus unserem Controlling abgerufen werden, von wegen Transparenz und so.

Gehaltserhöhungen ziehen immer die (dann konstanten) Arbeitgeberanteile mit sich. Okay, oberhalb der Beitragbemessungsgrenze ist das Thema durch.

Ich bin gebranntes Kind mit Selbstständigkeit. Immer der Kohle hinterher rennen. Dann noch die ein oder andere Insolvenz sich einfangen. Der Krankenkasse, dem Finanzamt und dem/n Vermieter/n sind diese Probleme aber sowas von egal. Nein, nicht mehr mein Ding.
Auf LinkedIn berühmt zu sein ist genau so relevant wie Millionär bei Monopoly zu sein!

Offline Yossarian

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #11 am: 14. Oktober 2018, 20:40:23 »
Nein, nicht mehr mein Ding.

Kann ich gut verstehen.
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Offline Johnbob

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #12 am: 15. Oktober 2018, 08:05:59 »
Wenn du mit der Kündigung wedeln musst um ein bisschen mehr Geld zu bekommen, mach das!
Bei uns ist es so, wir wedeln mit der Kündigung und die sagen ganz klar "Wenn es Ihnen nicht passt, können Sie auch gehen".
Wenn du glaubst es wär nicht schwer, kommt von irgendwo ein Lump daher.

Offline Araxes

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #13 am: 15. Oktober 2018, 11:07:06 »
glaubst du, dass irgendjemand rücksicht auf deine interessen nimmt?

Nicht wirklich. Das war schon vor 3 Jahren so als mein Chef mich in einem Projekt in Hamburg unterbringen wollte. Ich hätte dann Mo-Do da im Hotel gelebt. Damals dachte ich mir schon, daß ich sowas, wenn überhaupt, dann nur auf eigene Rechnung mache.
« Letzte Änderung: 15. Oktober 2018, 11:10:49 von Araxes »

Offline Araxes

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Re: egoistisch oder nett sein?
« Antwort #14 am: 15. Oktober 2018, 11:10:13 »
Wir zahlen z.B. Prämien an unsere Projektleiter sofern das Projekt mit guten Zahlen abgeschlossen wurde - kann von den Büroleitern aus unserem Controlling abgerufen werden, von wegen Transparenz und so.

Wäre schön. Mein letztes kleineres Projekt habe ich mit 2/3 des Budgets gemacht. Der Rest bleibt bei der Firma hängen. Momentan kriegen wir immerhin 15% Bonus auf fakturierbare Stunden. Das soll nach der Übernahme wegfallen. Dieser Bonus wird mit dem neuen Arbeitsvertrag dann auf das Grundgehalt aufgeschlagen, aber ich finde es falsch, den Mitarbeitern keinen Anreiz zu geben, sich beim Kunden gut zu "verkaufen".