Autor Thema: Dostojewski, Tolstoi und andere  (Gelesen 26719 mal)

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marple

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #15 am: 27. Januar 2010, 11:49:44 »
Gestern nacht kam ich an eine Stelle in den Dämonen, die mich sofort an Gurkenglas erinnerte. Abgesehen davon, dass es um idealisierten Selbstmord zur Erhaltung der größten individuellen Freiheit geht und damit eine der vielen todgeweihten Ideen dieser Zeit war, habe ich doch einen interessanten Aspekt darin gefunden (fett):

»Was hält denn Ihrer Ansicht nach die Menschen vom Selbstmorde zurück?« fragte ich.
Er sah mich zerstreut an, wie wenn er sich zu besinnen suchte, wovon wir gesprochen hätten.
»Ich ... ich bin mir darüber noch nicht ganz im klaren ... Zwei vorgefaßte Meinungen sind es, die die Menschen zurückhalten; zwei Dinge, nur zwei; ein sehr kleines und ein anderes sehr großes. Aber das kleine ist auch sehr groß.«
»Was ist denn das kleine?«

»Der Schmerz.«
»Der Schmerz? Ist denn das so wichtig ... in einem solchen Falle?«
»Das steht an erster Stelle. Es gibt zwei Arten von Selbstmördern: solche, die sich entweder aus großem Kummer töten oder aus Ingrimm oder im Wahnsinn oder aus ähnlichem Grunde ... die tun es alle plötzlich. Die denken wenig an den Schmerz, sondern tun es plötzlich. Aber diejenigen, die es mit Überlegung tun, die denken viel darüber nach.«
»Aber gibt es denn solche, die es mit Überlegung tun?«
»Sehr viele. Wenn die vorgefaßte Meinung nicht da wäre, würden es noch mehr sein; sehr, sehr viele; alle.«
»Nun, nun! Wirklich alle?«
Er schwieg.
»Gibt es denn kein Mittel, um schmerzlos zu sterben?« fragte ich.
»Denken Sie sich,« erwiderte er, indem er vor mir stehen blieb, »denken Sie sich einen Stein von solcher Größe wie ein großes Haus; er hängt, und Sie befinden sich unter ihm; wenn er herunterfällt, Ihnen auf den Kopf, wird Ihnen das weh tun?«
»Ein hausgroßer Stein? Gewiß, das ist ja furchtbar.«
»Von der Furcht rede ich nicht; wird es weh tun?«
»Ein Stein wie ein Berg? Ein Stein, der Millionen Pud schwer ist? Selbstverständlich wird es nicht weh tun.«
»Aber obwohl Sie das einsehen, werden Sie doch, solange er hängt, sehr fürchten, daß es weh tun werde. Der größte Gelehrte, der klügste Mann, alle, alle werden sie das sehr fürchten.«


»Nun, und die zweite Ursache, die große?«
»Das Jenseits.«
»Das heißt: die Bestrafung?«
»Ganz egal; das Jenseits; nur das Jenseits.«
»Gibt es nicht solche Atheisten, die überhaupt nicht an ein Jenseits glauben?«
Er schwieg wieder.
»Sie urteilen vielleicht nach sich?« fragte ich.
»Jeder kann nur nach sich urteilen,« sagte er errötend. »Die volle Freiheit wird dann da sein, wenn es dem Menschen ganz egal sein wird, ob er lebt oder nicht. Das ist das Ziel für die Gesamtheit.«
»Das Ziel? Aber dann wird vielleicht niemand mehr leben wollen?«
»Nein, niemand,« erwiderte er in entschiedenem Tone.
»Der Mensch fürchtet den Tod, weil er das Leben liebt; so fasse ich das auf,« bemerkte ich, »und so hat es die Natur gewollt.«
»Das ist gemein, und hierin steckt der Betrug!« Seine Augen funkelten. »Das Leben ist Schmerz, das Leben ist Furcht, und der Mensch ist unglücklich. Jetzt ist alles Schmerz und Furcht. Jetzt liebt der Mensch das Leben, weil er den Schmerz und die Furcht liebt. Das Leben wird einem jetzt gegeben zum Zwecke des Schmerzes und der Furcht, und hierin steckt der ganze Betrug. Jetzt ist der Mensch noch nicht der richtige Mensch. Es wird einen neuen Menschen geben, einen glücklichen und stolzen Menschen. Wem es ganz egal sein wird, ob er lebt oder nicht, der wird ein neuer Mensch sein. Wer den Schmerz und die Furcht überwindet, der wird selbst ein Gott sein. Und jener Gott wird dann nicht sein.«

»Also existiert jener Gott doch nach Ihrer Ansicht?«
»Er existiert nicht; aber Er existiert. Der Stein bereitet keinen Schmerz; aber die Furcht vor dem Stein bereitet Schmerz. Gott ist der Schmerz der Todesfurcht.
Wer den Schmerz und die Furcht überwindet, der wird selbst ein Gott. Dann wird ein neues Leben sein und ein neuer Mensch; alles wird neu sein ... Dann wird man die Geschichte in zwei Teile teilen: vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes und von der Vernichtung Gottes bis ...«

Rosenkohl

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #16 am: 27. Januar 2010, 21:21:05 »
Welche Übersetzung hast Du eigentlich?

Die verbreitetste deutsche ist die von E.K. Rahsin, und ich fand gerade beim googlen diesen Artikel, den werde ich mir mal reintun, das sieht interessant aus.
Mit der üblichen Vorsicht der Wikipedia gegenüber - jedenfalls war sie sehr jung, als diese Ausgaben zuerst erschienen, aber das muss nichts heißen, und sie hat für spätere Ausgaben wohl revidiert.
Der unten erwähnte Möller van den Bruck war übrigens ein ziemlich Fieser ...

In den letzten Jahren sind die Übersetzungen von Swetlana Geier sehr gerühmt worden.
Mag sein, ich kauf mir die der "Brüder Karamosoff" mal, wenn ich das wiederlese.

Rosenkohl

marple

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #17 am: 28. Januar 2010, 08:50:51 »
Es macht in der Tat einen Unterschied. "Meine" Dämonen sind übersetzt von Günter Dalitz. Um mein Zitat von gestern hier nicht abtippen zu müssen, hab ich eine online-Ausgabe benutzt und mich dabei schon sehr gewundert, dass der eigentliche Gedanke nicht mehr so deutlich wurde, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Gestern nacht noch mal in mein Buch geschaut - und da war er wieder klar. Also tatsächlich eine Frage der Wortwahl.

Neidisch kann man werden. Über die Art von Gesprächen, die die Protagonisten führen können. Da geht es noch um abstruse, falsche, neue, alte, interessante und langweilige Ideen, auch wenn sie sich überschreien und anpöbeln, nicht nur um Alltag, Konsum etc..
Auf der anderen Seite waren es unbeschäftigte Adlige (hauptsächlich), deren Hauptzeitvertreib das Bilden von "Ideen" gewesen zu sein scheint. Trotzdem würde ich mich gern mal dazugesetzt haben.

marple

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Offline Teppichporsche

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #19 am: 28. Januar 2010, 10:37:15 »
Gestern nacht kam ich an eine Stelle in den Dämonen, die mich sofort an Gurkenglas erinnerte. Abgesehen davon, dass es um idealisierten Selbstmord zur Erhaltung der größten individuellen Freiheit geht und damit eine der vielen todgeweihten Ideen dieser Zeit war, habe ich doch einen interessanten Aspekt darin gefunden (fett):
...
»Der Schmerz.«
...
»Das Jenseits.«

Ich antworte mal stellvertretend für diesen ominösen Gurkenglas:

Eigentlich ist die Diskussion um das Recht zum Selbstmord, abgesehen von den Fällen körperlicher Behinderung, komplett belanglos. Jeder Mensch, der seinen Körper kontrollieren (naja) kann, hat diese Möglichkeit. Sogar von Recht zu reden macht keinen Sinn, denn es gibt das Unrecht garnicht.

Davon abgesehen, bin ich mir nicht mehr sicher, was Menschen im Allgemeinen wirklich vom Selbstmord abhält. Manchmal denke ich, dass wenn es keinen Spass mehr macht, man den Notausgang wählt. Der Schmerz? Man kann auch schmerzlos sterben. Jedenfalls scheint diese Möglichkeit zu existieren. Jenseits?  

Den Ausdruck Jenseits finde ich an sich sehr interessant. Er setzt voraus, dass Sterben einen Übergang darstellt: Es gibt ein Hierseits und ein Jenseits...und es gibt etwas was vom Hierseits ins Jenseits übergeht. Zuerst setzt das Trennung voraus. Trennung von zwei "Räumen".

Weiterhin bleibt der Körper offensichtlich im Hierseits. Was geht also ins Jenseits? Auch hier wieder Trennung: Körper und was anderes.

Geht man davon aus, dass es das Jenseits garnicht gibt, dann fällt die Trennung zwischen Körper und dem anderen weg. Es gibt nur Körper. Oder Körper und das andere enden zusammen. Warum dann einen Unterschied machen?  

Wer den Schmerz und die Furcht überwindet, der wird selbst ein Gott.

Offensichtlich bullshit! Wer den Schmerz überwindet findet hinter der nächsten Ecke den nächsten Schmerz.
Zweitens: "wird selbst ein Gott". Also Gott kann man werden. Gott entsteht. ... und noch dazu entsteht er durch sowas Banales wie Schmerz oder besser die "Überwindung" von Schmerz. Sobald etwas entsteht kann es nicht Gott sein sondern etwas das entsteht. Gott kann nicht entstehen. Das ist unsere Definition von Gott. Die Griechen lassen die Götter entstehen...aber aus einer Göttin Gaia und ihrem göttlichen Stecher. Auch hier entsteht Gott nur aus Gott. D.h.Mensch um zu Gott zu werden muss von Gott stammen.
« Letzte Änderung: 28. Januar 2010, 10:41:58 von Teppichporsche »
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Offline Teppichporsche

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #20 am: 28. Januar 2010, 10:40:47 »
Manchmal denke ich, dass wenn es keinen Spass mehr macht, man den Notausgang wählt.

Das setzt voraus, dass es einen freien Willen gibt.
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Conte Palmieri

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #21 am: 28. Januar 2010, 10:42:39 »
@Teppichporsche:
Der ominöse Gurkenglas wäre vermutlich anderer Meinung.

Aber ich stimme Dir so was von zu, klarer kann man es gar nicht sagen  :-*

marple

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #22 am: 28. Januar 2010, 10:44:58 »
Bemerkenswert an der Idee fand ich nicht den Gedanken an Selbstmord; der ist in diesem Zusammenhang eher nebensächlich, sondern wie die Existenz Gottes hergeleitet wird.

Der Ideeninhaber Kirillow selbst glaubt nicht an die Existenz Gottes. (In diesem Stadium der Geschichte jedenfalls nicht) Aber er setzt die Dochexistenz Gottes der Existenz von Schmerz als allein Vorgestelltem Grauen entgegen. So wie der Schmerz "existiert", wenn man sich vorstellt, ein Felsbrocken würde auf einen herabstürzen, obwohl das keinerlei tatsächlichen Schmerz verursachen würde, existiert Gott gleichberechtigt als vorgestelltes Jenseits. Und ist damit genauso existent wie der Schmerz. Weil allein die Vorstellung schon etwas erschafft.

marple

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #23 am: 28. Januar 2010, 10:48:01 »
Sobald etwas entsteht kann es nicht Gott sein sondern etwas das entsteht. Gott kann nicht entstehen. Das ist unsere Definition von Gott. Die Griechen lassen die Götter entstehen...aber aus einer Göttin Gaia und ihrem göttlichen Stecher. Auch hier entsteht Gott nur aus Gott. D.h.Mensch um zu Gott zu werden muss von Gott stammen.

Keine Zustimmung. Es entsteht oder existiert grundsätzlich nur das, was man sich vorstellen oder was man benennen kann. Somit "entsteht" Gott erst durch die Gedanken- und/oder Sprachfähigkeit des Menschen.


edit: Um noch deutlicher zu werden, nicht Gott hat den Menschen erschaffen, der Mensch hat Gott erschaffen.
« Letzte Änderung: 28. Januar 2010, 10:49:54 von marple »

Offline Teppichporsche

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #24 am: 28. Januar 2010, 10:54:28 »
Bemerkenswert an der Idee fand ich nicht den Gedanken an Selbstmord; der ist in diesem Zusammenhang eher nebensächlich, sondern wie die Existenz Gottes hergeleitet wird.

Der Ideeninhaber Kirillow selbst glaubt nicht an die Existenz Gottes. (In diesem Stadium der Geschichte jedenfalls nicht) Aber er setzt die Dochexistenz Gottes der Existenz von Schmerz als allein Vorgestelltem Grauen entgegen. So wie der Schmerz "existiert", wenn man sich vorstellt, ein Felsbrocken würde auf einen herabstürzen, obwohl das keinerlei tatsächlichen Schmerz verursachen würde, existiert Gott gleichberechtigt als vorgestelltes Jenseits. Und ist damit genauso existent wie der Schmerz. Weil allein die Vorstellung schon etwas erschafft.

Was ist der Unterschied zwischen einem Gedanken "Felsbrocken" und einem Felsbrocken?

Es gibt eine Machine, die Textur simulieren kann. Sie tut das durch stimulation der Fingerkuppen. Der Probant kann keinen Unterschied zwischen "echter" Textur und virtueller Textur feststellen. Das gleiche kann man wahrscheinlich dadurch erreichen, dass man die entsprechenden Nervenzellen irgendwo zwischen Fingerkuppe und Hirn stimuliert. Das gleiche kann man wahrscheinlich dadurch erreichen, dass man die entsprechenden Zellen im Hirn stimuliert.

Wer sagt mir jetzt, dass es überhaupt Textur, Fingerkuppe und Nervenzelle gibt?
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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #25 am: 28. Januar 2010, 10:56:39 »
Keine Zustimmung. Es entsteht oder existiert grundsätzlich nur das, was man sich vorstellen oder was man benennen kann. Somit "entsteht" Gott erst durch die Gedanken- und/oder Sprachfähigkeit des Menschen.


edit: Um noch deutlicher zu werden, nicht Gott hat den Menschen erschaffen, der Mensch hat Gott erschaffen.

Aha. Habe das dann wohl falsch verstanden. Ich ging von Entstehen im Sinne von Materialisieren aus.
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marple

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #26 am: 28. Januar 2010, 10:56:48 »
Wer sagt mir jetzt, dass es überhaupt Textur, Fingerkuppe und Nervenzelle gibt?

Nun, es würde zumindest die Diskussion erleichtern, wenn wir im Augenblick mal davon ausgehen, dass wir beide existieren.

marple

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #27 am: 28. Januar 2010, 10:58:51 »
Aha. Habe das dann wohl falsch verstanden. Ich ging von Entstehen im Sinne von Materialisieren aus.

NEIN, um "Gottes" Willen. Genau darum geht es nicht. Der Schmerz materialisiert sich bitte als was? Als das grüne, dicke Aua?

Offline Teppichporsche

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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #28 am: 28. Januar 2010, 10:59:34 »
Weil allein die Vorstellung schon etwas erschafft.

Na, wenn das so ist, dann werde ich mir heute Nachmittag mal zwei Säcke Gold vorstellen.
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Re:Dostojewski, Tolstoi und andere
« Antwort #29 am: 28. Januar 2010, 11:00:42 »
NEIN, um "Gottes" Willen. Genau darum geht es nicht. Der Schmerz materialisiert sich bitte als was? Als das grüne, dicke Aua?

Ha. Genau. Was ist Schmerz?
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