Autor Thema: Raskolnikow  (Gelesen 17621 mal)

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marple

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Raskolnikow
« am: 19. Januar 2010, 13:17:18 »
So. Wie angedroht nun hier ein Diskussionsthema frei nach Schuld und Sühne

Zur Kurzeinführung: Hauptheld ist Raskolnikow, der einen Raubmord begeht. Der Roman dreht sich um seine Motivationen dazu und die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis.

Raskolnikow sagt (in meinen Worten und stark gekürzt):

Es gibt Menschen, die bilden die Masse. Die stehen unter dem Gesetz. Für sie hat das Gesetz zu gelten.

Die zweite Sorte Menschen sind die Macher. Die machen Gesetze, vor allem, indem sie sich über diese stellen. Er glaubt, dass ein Macher zur Erreichung seiner vollen Kraft und Macht, die er für gute Taten an der Menschheit braucht, unter gewissen Umständen auch morden darf. (Er ist stark von Napoleon beeindruckt) In seinem Fall hält er den Raubmord an einer Wucherin und Pfandleiherin für gerechtfertigt, da er mit dem geraubten Geld seine Studien fortsetzen und (durch seine veränderte finanzielle Situation) gute Taten an der Menschheit begehen könnte. Ein Mord an einer "Laus" um hunderten anderen zu helfen.

Er begeht die Tat, muss aber an seinen darauffolgenen Zusammenbrüchen und Problemen erkennen, dass er offensichtlich nicht zu den Machern gehört. Zuchthaus in Sibirien, angedeutete Läuterung.

Nun die Thematik auf heute übersetzt:

Natürlich steht keiner über dem Gesetz, blabla. ABER - konstruiert man sich einen Fall, in welchem der Tod eines Einzelnen zur Rettung Hunderter beitragen könnte, ab wann würdet ihr euch über das Gesetz stellen, so ihr es überhaupt tätet.

Oder noch anders - was müsste passieren, damit ihr euch über moralische Grundfragen und Gesetze hinwegsetzen würdet. Es muss nicht unbedingt um Blutvergiessen gehen.


Offline Mattieu

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Re:Raskolnikow
« Antwort #1 am: 19. Januar 2010, 14:11:58 »
Oder noch anders - was müsste passieren, damit ihr euch über moralische Grundfragen und Gesetze hinwegsetzen würdet. Es muss nicht unbedingt um Blutvergiessen gehen.

Über meine eigenen moralischen Grundfragen setze ich mich nicht hinweg. Wäre ja ein Widerspruch in sich.
Moralische Grundfragen anderer nehme ich wohlwollend zur Kenntnis.

Bei Gesetzen wäge ich die mir erschließbare Sinnhaftigkeit der Regel und die zu erwartende Sanktion bei Übertretung ab. It depends.
Scheiße ist, wenn der Furz was wiegt.

marple

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Re:Raskolnikow
« Antwort #2 am: 19. Januar 2010, 14:15:05 »
Also erkennst du nur Gesetze an, deren Sinn du einsiehst, oder deren Übertretung zu großen Schaden bei dir anrichten würden?

Offline Teppichporsche

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Re:Raskolnikow
« Antwort #3 am: 19. Januar 2010, 14:53:51 »
Könnte man das auch umformulieren:

a) zum Erreichen eines guten (was noch zu zeigen wäre) Zieles kann man jede -auch "unmoralische"- Mittel verwenden (Rettung hunderter) oder
b) zum Erreichen eines persönlichen Zieles ("moralisch" oder "unmoralisch") kann man jedes Mittel verwenden?

Meine erstaunlichen Bemerkungen sind folgende:
1) gibt es keine allgemeingültige Moral
2) ist Handeln determiniert (heisst freier Wille ist Illusion)
3) das mit dem Ziel ist so eine Sache. Die Reaktion auf Handeln kann in den meisten Fällen nicht (jedenfalls nicht vom Handelnden, da er automatisch nicht alle Ausgangsparameter kennt) vorausgesagt werden. Daher ist -falls man doch von freiem Willen ausgehen sollte- zielgerichtetes Handeln eine Illusion.
4) wird b) tagtäglich in Politik, Partnerschaft, Geschäftsleben, ... überall verwendet. Kein Handeln (fast kein Handeln) ist selbstlos.

Zu 4)
"Liebe" ist so ein Beispiel. "Liebe" ist einfach nur Ausdruck von Eigennutz: a ist mit b zusammen, weil a sich mit b gut fühlt. Ist das nicht mehr der Fall, trennt sich a von b (oder auch nicht). Falls a sich dann nicht von b trennt, wird trotzdem ein Bedarf von a gedeckt. a kann z.B. die Rolle des Opfers spielen etc. "Liebes"beziehungen ist auf die ERfüllung von eigenen Bedürfnissen gerichtet.
« Letzte Änderung: 19. Januar 2010, 14:56:23 von Teppichporsche »
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marple

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Re:Raskolnikow
« Antwort #4 am: 19. Januar 2010, 14:59:40 »
a) zum Erreichen eines guten (was noch zu zeigen wäre) Zieles kann man jede -auch "unmoralische"- Mittel verwenden (Rettung hunderter) oder
b) zum Erreichen eines persönlichen Zieles ("moralisch" oder "unmoralisch") kann man jedes Mittel verwenden?

In Dostojewskischem Sinne ist a gemeint. Raskolnikow irrte aber und handelte eigentlich eher nach b.

Offline Mattieu

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Re:Raskolnikow
« Antwort #5 am: 19. Januar 2010, 15:37:37 »
Also erkennst du nur Gesetze an, deren Sinn du einsiehst, oder deren Übertretung zu großen Schaden bei dir anrichten würden?

Na logo.
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Offline Mattieu

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Re:Raskolnikow
« Antwort #6 am: 19. Januar 2010, 15:39:14 »
a) zum Erreichen eines guten (was noch zu zeigen wäre) Zieles kann man jede -auch "unmoralische"- Mittel verwenden (Rettung hunderter) oder
b) zum Erreichen eines persönlichen Zieles ("moralisch" oder "unmoralisch") kann man jedes Mittel verwenden?

Ist die Unterscheidung zwischen guten und persönlichen Zielen hier jetzt ein Unfall oder so gewollt?
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marple

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Re:Raskolnikow
« Antwort #7 am: 19. Januar 2010, 15:41:57 »
Na logo.

Satan weiche von mir... 8)

Was ist mit Mord um andere zu retten?

Ist die Unterscheidung zwischen guten und persönlichen Zielen hier jetzt ein Unfall oder so gewollt?

Gute Ziele sind nach Raskolnikow immer Handlungen, die der gesamten Menschheit nutzen sollen. Das ist dann nicht persönlich.

Offline Teppichporsche

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Re:Raskolnikow
« Antwort #8 am: 19. Januar 2010, 15:53:35 »
Was ist mit Mord um andere zu retten?

Titanic: nicht genug Rettungsboote. Frauen und Kinder zuerst. Männer werden sich selber überlassen. Das bedeutet wahrscheinlicher Tod. Ist das Mord?
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Offline DüDo

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Re:Raskolnikow
« Antwort #9 am: 19. Januar 2010, 15:56:29 »
mord, um andere zu retten... da gibt es soviel moral-versionen, die alle nicht aufgehen können... terroristen, ehrenmord, mord an einem verbrecher, der zu schlau für die staatsanwaltschaft ist...

Offline Mattieu

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Re:Raskolnikow
« Antwort #10 am: 19. Januar 2010, 16:00:15 »
Was ist mit Mord um andere zu retten?

Leben ist nicht quantifizierbar, demnach ist das Leben eines Einzelnen gegenüber den Leben Mehrerer nicht arithmetisch wertbar. Die Aufgabe ist unlösbar.

Die Fragestellung war früher bei der Gewissenprüfung von Wehrdienstverweigerern beliebt. Sie (als Pazifist) sehen, wie ein Bomber über ihnen im Begriff ist, die voraus liegende ahnungslose Stadt mit vielen Unschuldigen in Schutt und Asche zu legen. Zufällig haben Sie eine Abwehrrakete dabei. Was tun Sie?

Oder Sie sind Zeuge, wie in einem Wald Ihre Freundin vergewaltigt wird. Sie haben ein Maschinengewehr dabei, sonst gibt es keine Zeugen. Was tun Sie?

Wer anfing, nach dem kleineren Übel zu suchen, und damit Menschenleben zu werten, hatte schon verloren. Die richtige Antwort lautet (auf die Prüfungssituation vor diesem Tribunal bezogen): Ich kenne in den beschriebenen Situationen keinen Weg, den ich mit meinem Gewissen vereinbaren könnte. Egal, wie ich handelte, ich würde meines Lebens nicht mehr froh.

Man musste stets seinen Gewissenskonflikt darstellen. Das war hinreichend, allerdings auch notwendig. Dass in der konkreten Situation eine Lösung her gemusst hätte, war egal.

Genauso eine Farce wie das ganze Instrument der Gewissensprüfung.

Ich schwiff ab, sorri.
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Conte Palmieri

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Re:Raskolnikow
« Antwort #11 am: 19. Januar 2010, 16:16:32 »
Einzelne Beispiele führen da nicht zu viel erhellendem, aber oft in die Sackgasse. Mir hat dieses Buch in solchen Fragen weiter geholfen.

marple

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Re:Raskolnikow
« Antwort #12 am: 19. Januar 2010, 16:18:13 »
Mao wäre auch in Raskolnikows Liste der Mächtigen aufgetaucht, wenn es ihn schon gegeben hätte. Er bezog sich ja auch immer auf das Blutvergiessen in Strömen, um die Menschheit voran zu bringen. Napoleon, Caesar...

Die Frage hier ist aber - gibt es tatsächlich Momente, wo ein Mord gerechtfertigt ist und könntet ihr damit leben, ihn begangen zu haben - in dem Bewusstsein, damit Hunderte gerettet zu haben.
Insofern schwiftest du nicht wirklich ab, Mattieu. Die pazifistischen Antworten stellen dann unser Gewissen dar, aber unser Handeln gilt der Notwendigkeit?

Conte Palmieri

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Re:Raskolnikow
« Antwort #13 am: 19. Januar 2010, 16:26:15 »
Das "geltende Recht" versucht uns insofern aus der Patsche zu helfen, indem gewisse Ausnahmefälle nicht als "Mord" bezeichnet werden, sondern als "Notwehr" oder "Nothilfe" oder "finaler Rettungsschuss" etc.

Aber das ist ja nicht das, worauf Raskolnikov hinaus will. Der will ja proaktiv tätig werden, Pläne machen, voraus schauen. Nur habe ich ihn dabei in Verdacht, dass seine Pläne für die Menschheit nicht ganz so selbstlos sind, wie er tut - genauswenig wie die von Caesar, Napoleon und Co. es waren.

Und daher sind mir solche Ideen immer eher unsympathisch.

Offline Stachelhaut

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  • Danke für das Gespräch.
Re:Raskolnikow
« Antwort #14 am: 19. Januar 2010, 16:32:05 »
The union is behind us, we shall not be moved.