Autor Thema: Raskolnikow  (Gelesen 17648 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline Mattieu

  • Supermann
  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 5.118
  • Geschlecht: Männlich
Re:Raskolnikow
« Antwort #15 am: 19. Januar 2010, 16:35:26 »
Aber das ist ja nicht das, worauf Raskolnikov hinaus will. Der will ja proaktiv tätig werden, Pläne machen, voraus schauen. Nur habe ich ihn dabei in Verdacht, dass seine Pläne für die Menschheit nicht ganz so selbstlos sind, wie er tut - genauswenig wie die von Caesar, Napoleon und Co. es waren.

Guter Einwand.
Auch meine Rückfrage oben nach der Unterscheidung zwischen "guten" und "persönlichen" Zielen ging in diese Richtung. Ich denke, dass es selten eine Überschneidungsfreiheit zwischen beiden gibt. Eine Handlung wird wohl immer von persönlichen Zielen motiviert sein. Wenn sie auch "gesellschaftlich nützlich" ist, umso besser, dient es der moralischen Rechtfertigung.

Ist wie mit der Bauch- und Kopfentscheidung neulich: Der Bauch entscheidet, der Kopf legt sich die Gründe zurecht.
Scheiße ist, wenn der Furz was wiegt.

marple

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #16 am: 19. Januar 2010, 16:36:17 »
Raskolnikows Ideen wollte ich garnicht wirklich zur Debatte stellen. Er vergleicht sich ja mit Tyrannen und verwechselt Herrschaft und Kriegführen mit menschlichem Vorwärtsbringen.

Ich bin nur während des Lesens zum Überlegen gekommen, ab wann ich bereit wäre, zu töten. Für was.

Notwehr - klar, wenn ich kräftig genug dazu bin, obwohl ich lieber k.O. schlagen würde.

Aber in Raskolnikowschem Denken - könnte ich einen Raubmord begehen, wenn ich mit dem Geld Menschen retten könnte? Nein. Könnte ich nicht. Aber damit tötete ich ja die zu Rettenden. Das wäre ein schwerer Gewissenskonflikt.

marple

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #17 am: 19. Januar 2010, 16:41:28 »
http://de.wikipedia.org/wiki/Trolley-Problem

Ja. Ja, genau so etwas meine ich. Und das geht auch weniger abstrakt:

Fahre ich Auto und mir läuft ein Kind vors Auto - ich könnte noch auf den Bürgersteig ausweichen, aber da stehen mehreree Personen. Ich muss also entscheiden, ob ich das Kind überfahre oder in die Menge rase.

Conte Palmieri

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #18 am: 19. Januar 2010, 16:42:05 »
Aber in Raskolnikowschem Denken - könnte ich einen Raubmord begehen, wenn ich mit dem Geld Menschen retten könnte? Nein. Könnte ich nicht. Aber damit tötete ich ja die zu Rettenden.
Nein. Du tötest sie "lediglich" nicht.
Da gäbe es sicherlich noch einiges zu besprechen, aber das Gleiche ist das nicht!

Und ob es dem gesamten Gemeinwohl nützen würde, wenn niemand mehr seines Lebens sicher sein könnte, weil irgendwelche Raskolnikovs mit ihren paar Kröten haitianische Waisenkinder zu retten versucht, wage ich zu bezweifeln.

Offline Teppichporsche

  • Supermann
  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 3.332
  • Geschlecht: Männlich
Re:Raskolnikow
« Antwort #19 am: 19. Januar 2010, 16:54:40 »
Ganz konkret:
Ermordung Heydrichs in Prag.

http://de.wikipedia.org/wiki/Reinhard_Heydrich

Was genau hatten die Attentäter für Motive? Retten anderer? Mh! Es war klar, dass die Nazis Rache nehmen würden. Was waren die Motive?
Those are my principles, and if you don't like them... well, I have others.

Groucho Marx

Yossarian

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #20 am: 19. Januar 2010, 16:58:56 »
Mir hat dieses Buch in solchen Fragen weiter geholfen.

Verdammt, wieso kenn ich das noch nicht? Danke für den Tip!

Offline Teppichporsche

  • Supermann
  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 3.332
  • Geschlecht: Männlich
Re:Raskolnikow
« Antwort #21 am: 19. Januar 2010, 17:07:18 »
Ja. Ja, genau so etwas meine ich. Und das geht auch weniger abstrakt:

Fahre ich Auto und mir läuft ein Kind vors Auto - ich könnte noch auf den Bürgersteig ausweichen, aber da stehen mehreree Personen. Ich muss also entscheiden, ob ich das Kind überfahre oder in die Menge rase.

Nur einige Anmerkungen: Das Kind ist offensichtlich auf der Strasse. Hat sich also wahrscheinlich selbst in Gefahr gebracht. Die Leute auf dem Bürgersteig haben sich dagegen richtig verhalten. In dem du in die Menge rast tötest du Leute, die "alles" unternommen haben, um erstens diese Situation (in der du dich entscheiden musst) erst garnicht entstehen zu lassen und zweitens um ihr eigenes Leben zu schützen. Dann könnte man sagen, dass das Kind wahrscheinlichh unwissentlich die Menge in eine potentielle (mögliches Ausweichen deinerseits) Gefahr gebracht hat.

« Letzte Änderung: 19. Januar 2010, 17:08:57 von Teppichporsche »
Those are my principles, and if you don't like them... well, I have others.

Groucho Marx

morrigan

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #22 am: 19. Januar 2010, 17:51:01 »
... konstruiert man sich einen Fall, in welchem der Tod eines Einzelnen zur Rettung Hunderter beitragen könnte, ab wann würdet ihr euch über das Gesetz stellen, so ihr es überhaupt tätet.

Vom Gefühl her gar nicht.

Denn:

Die Aufgabe ist unlösbar.
...
Ich kenne in den beschriebenen Situationen keinen Weg, den ich mit meinem Gewissen vereinbaren könnte. Egal, wie ich handelte, ich würde meines Lebens nicht mehr froh.

Da bin ich mir sicher. Aber:

Falls man in dem Moment überhaupt nachdenkt... In Extremsituationen ändert sich vieles.

Da hast Du Recht. Wer weiß schon wozu er wirklich fähig wäre?

Ich lese Dostojewski nicht mehr. Nach jedem seiner Romane hatte ich das dringende Bedürfnis irgendwo runterzuspringen.

marple

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #23 am: 19. Januar 2010, 17:54:44 »
Ich lese Dostojewski nicht mehr. Nach jedem seiner Romane hatte ich das dringende Bedürfnis irgendwo runterzuspringen.

Ernsthaft?

Das geht mir nur bei jedem missglückten Versuch "das Glasperlenspiel" von Hesse zu Ende zu lesen, so.

Ich finde Dostojewski einfach sehr aktuell. Ich hab mir gestern nacht schon das nächste aus dem Schrank gekramt. Aber vielleicht nehm ich vorher erst noch eine Priese Gogol.

marple

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #24 am: 19. Januar 2010, 17:58:13 »
Zu dem Trolley-Experiment: Wenn ich auf einer Brücke mit einem fetten Mann stehe den ich runterschubsen könnte, um die anderen zu retten, könnte ich auch gleich selber springen.

Aber wahrscheinlich würde ich beides nicht tun. Man denkt sich selber immer heroischer, als man ist. Im Ernstfall würde ich auf der Brücke stehen und rumkreischen und mir die Haare raufen und gar nicht auf die Idee kommen, wie ich die Bahn stoppen könnte.

morrigan

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #25 am: 19. Januar 2010, 18:00:33 »
Ernsthaft?

Ernsthaft.

Er erzählt mir nichts neues über menschliche Abgründe. Aber das alles so geballt zwischen zwei Buchdeckeln wiederzufinden macht mich regelmäßig fertig.

But that's just me.




marple

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #26 am: 19. Januar 2010, 18:09:50 »
Das heisst, die Beschreibungen treten dir zu nahe. Ich wünschte, ich hätte jemanden, der das bei mir schaffte. Weiss nicht, ich bin so unempathisch. Das ist nicht wirklich menschlich.

morrigan

  • Gast
Re:Raskolnikow
« Antwort #27 am: 19. Januar 2010, 18:16:39 »
Weiss nicht, ich bin so unempathisch. Das ist nicht wirklich menschlich.

Ich empfinde Dich als sehr menschlich und auch empathisch.

Ein findliches Dittchen zu sein ist nicht erstrebenswert - glaubs mir.

Und hiermit geben wir zurück zur russischen Sellä! ;)

Offline Stachelhaut

  • Administrator
  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 2.034
  • Geschlecht: Männlich
  • Danke für das Gespräch.
Re:Raskolnikow
« Antwort #28 am: 19. Januar 2010, 18:17:20 »
Zu dem Trolley-Experiment: Wenn ich auf einer Brücke mit einem fetten Mann stehe den ich runterschubsen könnte, um die anderen zu retten, könnte ich auch gleich selber springen.

Nein, in dem Experiment bist Du zu mager und hast einfach nicht die nötige Masse, um die Bahn aufzuhalten. ;)

EDIT: Tatsächlich bist Du natürlich nicht zu mager, sondern wohl proportioniert, hast aber trotzdem nicht die nötige Masse, um die Bahn aufzuhalten. Puh, das war knapp.
The union is behind us, we shall not be moved.

Offline Teppichporsche

  • Supermann
  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 3.332
  • Geschlecht: Männlich
Re:Raskolnikow
« Antwort #29 am: 19. Januar 2010, 18:28:56 »
Eher lernst du die Rockford-Wende als daß du damit zu einer befriedigenden Antwort kommst.

Es doch um folgendes: fährst du in die Menge, um das Kind zu retten?

Dafür muss der Fahrer den möglichen Tod einiger oder aller in der Menge begründen können, sonst ergibt sich die vorrausgesetzte Situation (Dostojeswki) erst garnicht.

Sicher gibt es die Begründung ein Kind (das ja noch sein ganzes Leben vor sich hat) zu retten.

Ich zeige, dass ein anderes Verhalten ebenfalls begründet werden kann.

Was ist jetzt die bessere Begründung? Diese Frage habe ich nicht beantwortet. Das weiss ich auch nicht.

« Letzte Änderung: 19. Januar 2010, 18:32:10 von Teppichporsche »
Those are my principles, and if you don't like them... well, I have others.

Groucho Marx