Ich bin seit sieben Jahren mit meiner Freundin zusammen. Die ersten vier Jahre waren wirklich toll. Damals hatten wir eine Fernbeziehung über 500 Kilometer, in der wir uns jedes zweite bis dritte Wochenende und in den Semesterferien sahen. Wir hatten keinen Alltag, es fühlte sich immer wie Urlaub an. Wir sind auch viel gereist und hatten eine schöne Zeit zusammen. Zwischen uns ist eine starke Bindung entstanden, die auch in der Lage ist, einiges auszuhalten.
Seit drei Jahren wohnen wir nun zusammen - und unsere Bindung musste seither eine ganze Menge aushalten. Die Ursache liegt aus meiner Sicht darin, dass meine Freundin, mittlerweile meine Verlobte, sich chronisch ungeliebt, wertlos, benachteiligt fühlt. Nicht nur von mir, auch von ihrer Familie, von ihren Freunden. Meine Aufgabe ist es, ihr dieses Gefühl zu nehmen. Das heißt, dass meine tägliche Challenge darin besteht, Situationen zu vermeiden, in denen sie dieses Gefühl wieder spüren könnte. Wenn mir das nicht gelingt, entsteht zwischen uns schlechte Stimmung, Streit, mitunter regelrechtes Drama.
Ich könnte ein ganzes Buch mit Beispielen füllen, vielleicht nur eins aus der jüngeren Vergangenheit. Kürzlich hatte sie früh morgens einen Termin und verließ das Haus ohne Frühstück, weil sie annahm, schon gegen halb neun zurück zu sein. Dann verzögerte sich alles, sie schrieb mir, dass sie wohl eher nicht vor elf wieder zu Hause sein würde.
Ich ging einkaufen und zum Bäcker und deckte ihr einen Frühstückstisch ein mit Dingen, die sie mag. Ich habe auch Blumen besorgt und den Tisch liebevoll dekoriert. Als sie nach Hause kam, freute sie sich riesig. Wir hatten einen schönen Tag.
Bis ich nachmittags einen Anruf von einem Freund bekam, dessen Auto nicht anspringen wollte. Ich sagte zu, am darauffolgenden Vormittag zu ihm zu kommen und sein Auto fremd zu starten. Für mich war das kein Problem, denn ich hatte am nächsten Tag frei und meine Freundin musste auf Arbeit. Trotzdem war sie stinksauer, weil ich einem Freund so viel Aufmerksamkeit widmete. Sie forderte mich auf, ihm abzusagen und warf mir vor, sie gar nicht zu lieben, wenn ich ihr diesen Wunsch abschlage. Das Ganze ging so weit, dass sie meine Schlüssel versteckte, damit ich am nächsten Morgen nicht losfahren kann. Zwar beruhigte sie sich über Nacht zumindest so weit, dass sie die Schlüssel wieder rausholte, aber sauer war sie noch bis zum Nachmittag.
Situationen wie diese hatten wir in den letzten drei Jahren quasi aller 14 Tage. Wenn ich zu viel Zeit mit Freunden verbringe, wirft sie mir vor, die seien mir wichtiger als sie. Wenn ich in Diskussionen zu ganz verschiedenen Themen einmal nicht ihrer Meinung bin, wirft sie mir vor, dass ich sie gar nicht liebte. Aber auch wenn sich zwei ihrer Freundinnen treffen, ohne sie zu fragen, ob sie auch dazu kommen möchte, fühlt sie sich ungeliebt. Es geht so weit, dass sie sauer auf meine Eltern ist, wenn meine 15 Jahre jüngere, noch zu Hause lebende Schwester ein großes Geschenk bekommt, weil das ja unfair sei mir und damit uns gegenüber.
Dazu kommt, dass die Auseinandersetzungen, die wir dann pflegen, nicht immer besonders zivilisiert ablaufen, sondern schnell in Drama abdriften. Auch wenn die Situationen meist ähnlich harmlos sind wie die oben beschriebene. „Genauso gut hättest du mir ein Messer in die Brust rammen können“ und „Wenn du dich von mir trennst, bringe ich mich um und du kannst das dann meiner Mutter am Grab erklären“ waren nur zwei der Sätze, die sich in meinem Gedächtnis eingebrannt haben.
Mittlerweile merke ich, dass die Aufgabe, potentiell gefährliche Situationen krampfhaft zu vermeiden, meine psychische Gesundheit zunehmend belastet. Schlafprobleme begleiten mich nun schon seit etwa einem halben Jahr, ich habe ab und an depressive Phasen, Stimmungsschwankungen, Panikattacken. Außerdem raubt mir dieses ständige Unter-Spannung-Stehen jede Energie für alle anderen Dinge des Lebens.
Man könnte also meinen, ich sollte mich einfach trennen. Doch so einfach ist das irgendwie nicht. Generell bin ich wohl eher ein „bindungsstarker“ Mensch aus einer sehr intakten Familie, genauso wie sie. Trennungen, Scheidungen gibt es in unser beider Familien weit und breit nicht. Davon sind wir sicher geprägt. Dass man an einer Beziehung arbeiten muss, ist für uns beide selbstverständlich. Wir haben ein ähnliches Wertesystem, teilen den christlichen Glauben, haben gleiche Zukunftspläne. Sie ist 27, ich bin 31, uns geht es finanziell gut, wir haben eine schöne Wohnung, planen zu heiraten und eine Familie zu gründen. Eigentlich könnte alles passen. Aber eben nur eigentlich. Derzeit zweifle ich, ob ich auf dem richtigen Weg bin.
Meine Freundin hat sich nach so ziemlich jedem Streit bei mir entschuldigt. Sie ist durchaus einsichtig und hat sich auch gebessert über die letzten Jahre, aber ihre Gefühle könne sie in diesen Situationen einfach nicht kontrollieren. Es passiere einfach, sie fühle sich dann derart schlecht, dass sie gar nicht anders könne. Meist bereut sie das später. Wir haben allerlei ausprobiert, Codewörter vereinbart, ich habe verschiedenste Verhaltensweisen ausgetestet, mit denen ich reagieren kann, wenn sie wieder von ihren Gefühlen übermannt wird. Ich versuche, ihr zu helfen. Nichts hilft wirklich, nichts hilft auf Dauer. Und mittlerweile nagt das, trotz aller schönen Phasen, die wir miteinander durchleben, gehörig an meiner Liebe zu ihr.
Meine Frage in die Runde: Wie lange kann man an einer Beziehung arbeiten und ab wann macht es keinen Sinn mehr?