Autor Thema: Gehen oder weiterkämpfen?  (Gelesen 6956 mal)

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Offline undnun

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Gehen oder weiterkämpfen?
« am: 07. Mai 2021, 08:46:43 »
Ich bin seit sieben Jahren mit meiner Freundin zusammen. Die ersten vier Jahre waren wirklich toll. Damals hatten wir eine Fernbeziehung über 500 Kilometer, in der wir uns jedes zweite bis dritte Wochenende und in den Semesterferien sahen. Wir hatten keinen Alltag, es fühlte sich immer wie Urlaub an. Wir sind auch viel gereist und hatten eine schöne Zeit zusammen. Zwischen uns ist eine starke Bindung entstanden, die auch in der Lage ist, einiges auszuhalten.

Seit drei Jahren wohnen wir nun zusammen - und unsere Bindung musste seither eine ganze Menge aushalten. Die Ursache liegt aus meiner Sicht darin, dass meine Freundin, mittlerweile meine Verlobte, sich chronisch ungeliebt, wertlos, benachteiligt fühlt. Nicht nur von mir, auch von ihrer Familie, von ihren Freunden. Meine Aufgabe ist es, ihr dieses Gefühl zu nehmen. Das heißt, dass meine tägliche Challenge darin besteht, Situationen zu vermeiden, in denen sie dieses Gefühl wieder spüren könnte. Wenn mir das nicht gelingt, entsteht zwischen uns schlechte Stimmung, Streit, mitunter regelrechtes Drama.

Ich könnte ein ganzes Buch mit Beispielen füllen, vielleicht nur eins aus der jüngeren Vergangenheit. Kürzlich hatte sie früh morgens einen Termin und verließ das Haus ohne Frühstück, weil sie annahm, schon gegen halb neun zurück zu sein. Dann verzögerte sich alles, sie schrieb mir, dass sie wohl eher nicht vor elf wieder zu Hause sein würde.

Ich ging einkaufen und zum Bäcker und deckte ihr einen Frühstückstisch ein mit Dingen, die sie mag. Ich habe auch Blumen besorgt und den Tisch liebevoll dekoriert. Als sie nach Hause kam, freute sie sich riesig. Wir hatten einen schönen Tag.

Bis ich nachmittags einen Anruf von einem Freund bekam, dessen Auto nicht anspringen wollte. Ich sagte zu, am darauffolgenden Vormittag zu ihm zu kommen und sein Auto fremd zu starten. Für mich war das kein Problem, denn ich hatte am nächsten Tag frei und meine Freundin musste auf Arbeit. Trotzdem war sie stinksauer, weil ich einem Freund so viel Aufmerksamkeit widmete. Sie forderte mich auf, ihm abzusagen und warf mir vor, sie gar nicht zu lieben, wenn ich ihr diesen Wunsch abschlage. Das Ganze ging so weit, dass sie meine Schlüssel versteckte, damit ich am nächsten Morgen nicht losfahren kann. Zwar beruhigte sie sich über Nacht zumindest so weit, dass sie die Schlüssel wieder rausholte, aber sauer war sie noch bis zum Nachmittag.

Situationen wie diese hatten wir in den letzten drei Jahren quasi aller 14 Tage. Wenn ich zu viel Zeit mit Freunden verbringe, wirft sie mir vor, die seien mir wichtiger als sie. Wenn ich in Diskussionen zu ganz verschiedenen Themen einmal nicht ihrer Meinung bin, wirft sie mir vor, dass ich sie gar nicht liebte. Aber auch wenn sich zwei ihrer Freundinnen treffen, ohne sie zu fragen, ob sie auch dazu kommen möchte, fühlt sie sich ungeliebt. Es geht so weit, dass sie sauer auf meine Eltern ist, wenn meine 15 Jahre jüngere, noch zu Hause lebende Schwester ein großes Geschenk bekommt, weil das ja unfair sei mir und damit uns gegenüber.

Dazu kommt, dass die Auseinandersetzungen, die wir dann pflegen, nicht immer besonders zivilisiert ablaufen, sondern schnell in Drama abdriften. Auch wenn die Situationen meist ähnlich harmlos sind wie die oben beschriebene. „Genauso gut hättest du mir ein Messer in die Brust rammen können“ und „Wenn du dich von mir trennst, bringe ich mich um und du kannst das dann meiner Mutter am Grab erklären“ waren nur zwei der Sätze, die sich in meinem Gedächtnis eingebrannt haben.

Mittlerweile merke ich, dass die Aufgabe, potentiell gefährliche Situationen krampfhaft zu vermeiden, meine psychische Gesundheit zunehmend belastet. Schlafprobleme begleiten mich nun schon seit etwa einem halben Jahr, ich habe ab und an depressive Phasen, Stimmungsschwankungen, Panikattacken. Außerdem raubt mir dieses ständige Unter-Spannung-Stehen jede Energie für alle anderen Dinge des Lebens.

Man könnte also meinen, ich sollte mich einfach trennen. Doch so einfach ist das irgendwie nicht. Generell bin ich wohl eher ein „bindungsstarker“ Mensch aus einer sehr intakten Familie, genauso wie sie. Trennungen, Scheidungen gibt es in unser beider Familien weit und breit nicht. Davon sind wir sicher geprägt. Dass man an einer Beziehung arbeiten muss, ist für uns beide selbstverständlich. Wir haben ein ähnliches Wertesystem, teilen den christlichen Glauben, haben gleiche Zukunftspläne. Sie ist 27, ich bin 31, uns geht es finanziell gut, wir haben eine schöne Wohnung, planen zu heiraten und eine Familie zu gründen. Eigentlich könnte alles passen. Aber eben nur eigentlich. Derzeit zweifle ich, ob ich auf dem richtigen Weg bin.

Meine Freundin hat sich nach so ziemlich jedem Streit bei mir entschuldigt. Sie ist durchaus einsichtig und hat sich auch gebessert über die letzten Jahre, aber ihre Gefühle könne sie in diesen Situationen einfach nicht kontrollieren. Es passiere einfach, sie fühle sich dann derart schlecht, dass sie gar nicht anders könne. Meist bereut sie das später. Wir haben allerlei ausprobiert, Codewörter vereinbart, ich habe verschiedenste Verhaltensweisen ausgetestet, mit denen ich reagieren kann, wenn sie wieder von ihren Gefühlen übermannt wird. Ich versuche, ihr zu helfen. Nichts hilft wirklich, nichts hilft auf Dauer. Und mittlerweile nagt das, trotz aller schönen Phasen, die wir miteinander durchleben, gehörig an meiner Liebe zu ihr.

Meine Frage in die Runde: Wie lange kann man an einer Beziehung arbeiten und ab wann macht es keinen Sinn mehr?

Offline Yossarian

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #1 am: 07. Mai 2021, 09:27:47 »
Kann man der Dame vielleicht eine Schnupperstunde bei einem Psychologen schmackhaft machen?
"I came to a point where I needed solitude and just stop the machine of thinking and enjoying what they call living, I just wanted to lie in the grass and look at the clouds."

— Jack Kerouac

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Offline Korinthenkackerin

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #2 am: 07. Mai 2021, 09:47:56 »
Die Ursache liegt aus meiner Sicht darin, dass meine Freundin, mittlerweile meine Verlobte, sich chronisch ungeliebt, wertlos, benachteiligt fühlt. Nicht nur von mir, auch von ihrer Familie, von ihren Freunden. Meine Aufgabe ist es, ihr dieses Gefühl zu nehmen.

Das ist nicht deine Aufgabe, sondern ein Job, du offenbar dir selber ans Bein gebunden hast.

Mittlerweile merke ich, dass die Aufgabe, potentiell gefährliche Situationen krampfhaft zu vermeiden, meine psychische Gesundheit zunehmend belastet. Schlafprobleme begleiten mich nun schon seit etwa einem halben Jahr, ich habe ab und an depressive Phasen, Stimmungsschwankungen, Panikattacken. Außerdem raubt mir dieses ständige Unter-Spannung-Stehen jede Energie für alle anderen Dinge des Lebens.

Das kann ich nachvollziehen und es hört sich nicht gut an.

Kann man der Dame vielleicht eine Schnupperstunde bei einem Psychologen schmackhaft machen?

Ja, natürlich auch mein erster Gedanke. Aber sie sieht vermutlich keinen Handlungsbedarf  :evil.

planen zu heiraten und eine Familie zu gründen.

Damit würde ich noch ein bisschen warten  :P. Eine Mutter, die soviel Aufmerksamkeit für sich beansprucht, würde vor allem ganz schwierig für Kinder werden.

@undnun

Ich empfehle dir die Lektüre dieses Artikels  und dieses Buches.

Vielleicht solltest du die Hilfe einer Beratungsstelle in Anspruch nehmen. Diese werden oft von den Diakonischen Werken vor Ort betrieben. In welchem Bundesland lebst du denn?
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Offline Mattieu

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #3 am: 07. Mai 2021, 10:19:23 »
Wie lange kann man an einer Beziehung arbeiten und ab wann macht es keinen Sinn mehr?

So lang die Liebe reicht.

Das Problem hat sie, nicht ihr, deshalb liegt die Lösung bei ihr. Ich halte eine psychologische Ersteinschätzung schon für sinnvoll.
Scheiße ist, wenn der Furz was wiegt.

Offline Yossarian

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #4 am: 07. Mai 2021, 10:21:11 »
Ja, natürlich auch mein erster Gedanke. Aber sie sieht vermutlich keinen Handlungsbedarf

Klaro. Die wirklichen Geisterfahrer sind die paar hundert Autos, die einem die ganze Zeit auf der Überholspur entgegenkommen.  :evil

So lang die Liebe reicht.

Das ist dann wiederum sein Problem.
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Offline Araxes

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #5 am: 07. Mai 2021, 10:35:40 »
Das sieht nach Borderline aus. Da kann man nur die Flucht ergreifen, wenn es noch geht. Vielleicht mal hiermit abgleichen: Zudem müssen mindestens fünf der folgenden Kriterien erfüllt sein, damit eine Borderline-Störung vorliegt
« Letzte Änderung: 07. Mai 2021, 10:37:42 von Araxes »

Primus Flavius Fosssa

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #6 am: 07. Mai 2021, 12:42:51 »
Zwei Punkte:

  • Wurde hier schon einige Male genannt: Psychotherapie. Kychenpsüchologische Hobbydiagnosen sind untauglich, auch mit Internet-Selbsttest. Die Profis können was, ich weiß das.
  • Gibt es beim Auftreten dieser Auftritte irgendeine kalendarische Regelmäßigkeit (nein, ich reden nicht von Frau Luna)?

Offline Araxes

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #7 am: 07. Mai 2021, 13:30:59 »
Wenn sie nicht zum Therapeuten geht, werden wohl Küchenpsychologie und Internet-Recherche reichen müssen. So schlecht sind die nicht und man sieht auch ohne schon, daß sich da was außerhalb der Norm bewegt. Alternativ mal den sozialpsychologischen Dienst anrufen.

Offline simplemachine

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #8 am: 07. Mai 2021, 16:52:53 »
Die Schilderung des Threadstarters wirft die Frage auf, ob ein intaktes Sexualleben vorhanden ist.

Offline nigel48

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #9 am: 08. Mai 2021, 10:36:32 »
„Genauso gut hättest du mir ein Messer in die Brust rammen können“ und „Wenn du dich von mir trennst, bringe ich mich um und du kannst das dann meiner Mutter am Grab erklären“

LAUF - schnell und weit weg.
Man fährt an den See, um zu schwimmen - nicht wegen der Mücken, oder? - Lemmy Kilminster

Offline Nikibo

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #10 am: 08. Mai 2021, 12:00:48 »
„Wenn du dich von mir trennst, bringe ich mich um und du kannst das dann meiner Mutter am Grab erklären“

Der hier von Nigel zitierte Satz Deiner Lebensgefährtin ist mir auch bestens bekannt und ich habe lange versucht, dagegen mit Verständnis und viel Aufmerksamkeit anzugehen. Nutzlos. Erst als ich irgendwann die Nerven verlor und entgegnete:
„Wenn, dann mache es richtig. Solltest du überleben, werde ich dich in das billigste und schlechteste Pflegeheim stecken, das ich nur auftreiben kann. Und niemals werde ich dich besuchen oder auch nur einen Gedanken an dich verschwenden.“

Danach wurde so etwas nie wieder gesagt. Trotzdem ist es eine für mich immer schwierige Beziehung geblieben, wenn auch mit vielen sehr glücklichen Zeiten. Jetzt, am Ende meines Lebens frage ich mich, ob es die ganze Mühe wert gewesen ist. Es war immer ein Pulverfass in der Nähe. Es kostet unendlich viel Kraft, sich so auf jemanden, der durchaus, neben den zerstörerischen, auch viel gute Seiten hat, einzulassen.


Wenn ich dir raten soll, beende es. Es gibt auch normale Frauen.
« Letzte Änderung: 08. Mai 2021, 12:04:22 von Nikibo »
Tiere sind die besseren Menschen.

Offline DieFrau

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #11 am: 08. Mai 2021, 13:44:13 »
Es gibt auch normale Frauen.


Das hoffe ich, obwohl ich nach den letzten zwei geschilderten Fällen (beide Frauen sind 27  ???) dran zweifeln muss.
Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Geist ein treuer Diener.
Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat!...Einstein

Offline Araxes

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #12 am: 09. Mai 2021, 01:34:07 »
Danach wurde so etwas nie wieder gesagt. Trotzdem ist es eine für mich immer schwierige Beziehung geblieben, wenn auch mit vielen sehr glücklichen Zeiten. Jetzt, am Ende meines Lebens frage ich mich, ob es die ganze Mühe wert gewesen ist. Es war immer ein Pulverfass in der Nähe. Es kostet unendlich viel Kraft, sich so auf jemanden, der durchaus, neben den zerstörerischen, auch viel gute Seiten hat, einzulassen.

Der Küchenpsychologe erkennt darin Borderline: einerseits emotionalial sadistisch, andererseits charmant und liebevoll. Beides ist im Grunde kalkulierte Manipulation.

Offline Nikibo

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #13 am: 09. Mai 2021, 04:05:45 »
Der Küchenpsychologe erkennt darin Borderline: einerseits emotionalial sadistisch, andererseits charmant und liebevoll. Beides ist im Grunde kalkulierte Manipulation.

Festgestellt ist eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, ob das nun mit Borderline zusammenhängt, könnte Korinthe beantworten. Bei uns wurde Borderline jedenfalls nie erwähnt.

Als emotional sadistisch empfinde ich die Aussage auch nicht, ich empfinde sie eher als völlig verzweifelten und hilflosen Schrei nach noch mehr Aufmerksamkeit. Mag schon sein, dass es von anderen als sadistisch empfunden wird. Ich bin aber in solchen Dingen extrem belastbar bzw. kann ich sowas höchstens beim ersten Mal überhaupt ernstnehmen, selbst da fällt es mir schwer. Wer sich wirklich umbringen will, sagt das nicht vorher mit großem Drama. 
Tiere sind die besseren Menschen.

Primus Flavius Fosssa

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Re: Gehen oder weiterkämpfen?
« Antwort #14 am: 09. Mai 2021, 18:39:46 »
Wer sich wirklich umbringen will, sagt das nicht vorher mit großem Drama.
DAS ist wirklich Kychenpsüchologie.