Was noch zu beweisen wäre. Nur weil unsere Gesellschaft zu blöde ist, Freude und Glück einen höheren Stellenwert zu geben, heißt das nicht, daß das nicht möglich wäre.
Meine Aussage bezog sich auf die Gruppe von Menschen, die dem großen Unglück ausgesetzt waren, ein Kind, was sie aufgezogen haben, zu verlieren.
Im Allgemeinen, also so wie du es meinst, halte ich es mit Schopenhauer, der sinngemäß sagt, dass das Leben zwischen Leid und Langeweile pendelt.
Durchaus möglich. Aber nur, weil das, wenn es so wäre, gegen unsere Gesellschaft spräche, spräche es noch lange nicht für die Religion.
Fast jeder hat sowas wie eine private Religion. Die staatlich anerkannte wird nur öffentlich gelebt. Der Unterschied scheint mir ganz analog zum Bundesligaspiel, was man alleine vor dem Fernseher anschaut und dem, welches man live im Stadion erlebt.
Kommt drauf an, auf welcher Seite des Schreibtischs Du Dich in der Psychiatrie gerade befindest.
Genauso war es auch gemeint.
Das sehe ich anders. Es gibt durchaus Lebensumstände, in denen es für einen Suizid den perfekten Moment gibt.
Möglich. Aber meist hinterlässt man tramatisierte Angehörige.
Das einzig richtige an dieser Aussage ist, ist, daß wir für uns selbst verantwortlich sind. Denn Sinn lassen wir uns bestenfalls aufschwätzen.
Dann ist aber auch die Gesellschaft nicht verantwortlich, wenn es mit dem Glück nicht klappt, wie du oben suggerierst.
Zum Glück. Aber es war mehr als knapp, und wenn ein anderer Arzt in dieser Nacht Dienst gehabt hätte, wäre er gestorben.
Dann bist du mit dem Schrecken davongekommen. Andernfalls wärst du heute möglicherweise ein anderer.
Dann weißt Du ja auch, wie es da zugeht, wie der Tod totgeschwiegen wird, wenn Du hereinkommst und ein Kind fehlt, oder wenn Du dabei bist, wenn eines stirbt, oder wenn ein Frühchen mit Atemstillstand im Brutkasten von der Schwester durch aufdotzen auf der Matratze wir ein Gummiball zum Atmen "überredet" wird.
Die Mutter leidet dann unvergleichbar mehr. Der Vater hat noch keine richtige Bindung aufgebaut.
Das weißt Du nicht, ob sie nicht wieder glücklich leben können. Viele sicher nicht, andere irgendwann schon. Die Frau meines Lebens hatte ihr Kind nur Stunden nach der Geburt wieder verloren; der Junge war zu schwach zum Überleben und schlief einfach ein. Als ich sie kennengelernt hatte, war das schon über 20 Jahre her, und sie machte von ihren anderen psychischen Problemen abgesehen einen durchaus zufriedenen Eindruck.
Ich habe von unzähligen Fälle durch meine Partnerin erfahren, und jeder schleppt auch nach vielen Jahren noch ein schweres Paket.
Das ist sehr schade, weil mich genau das interessieren würde. Was meinst Du mit "religiös"?
Das ist überhaupt nicht schade. Jeder ist mit einem angeborenen Charakter und einem sich entwickelndem Intellekt ausgestattet. In der Introspektive erkundet der Intellekt den Charakter und findet manchmal selbst in reifem Alter noch Neues. Man beobachtet sich und bleibt sich selbst ein Rätsel. Das eigene Ich gehört zum Rand der erklärbaren Welt (frei nach Wittgenstein).
Und was?
Das ist schwierig zu erklären.
Das kann ein gutes Antidepressivum auch.
Mit den Tabletten hab ich es nicht so. Mein Eindruck ist: Diejenigen, die einem sowas verschreiben, die Psychiater, wissen im Grunde nichts.
Da gibt es diese geile Filmszene in Bermann's 'Das siebte Siegel':
Der Tod in Gestalt des Sensemannes kommt den aus dem Morgenland heimkehrenden Ritter holen. Sie spielen miteinander Schach um den Einsatz seines Lebens.
Auf des Kreuzritters Frage, was der Sinn der ganzen Hampelei ist, antwortet der Sensemann 'ich bin unwissend'.