Hallo Gorden,
erst einmal herzlich willkommen hier.
Und zu dem Thema "männliche Werte": Du schreibst, du befindest dich da in einem Selbstreflexionsprozess. Und ich finde, dass du mit 25 da erstaunlich früh dran bist. Bei mir kam das erst seeeehr viel später. Und es ist ja wohl auch nicht nur dein Thema. Irgendwie scheint ja "Männlichkeit" etwas fragwürdig geworden zu sein. Fragwürdig im Wortsinne: Das man(n) sich immer fragen muss, was genau das eigentlich ist, wann man ein Mann ist, wie man denn ein Mann ist usw. usf. Diese Fraglichkeit geht ja bis in die Ebene des Schlager. Von "Wann ist der Mann ein Mann", was ja immerhin noch zaghaft mit der Behauptung aufwartete, dass Männer vielleicht auch Menschen seien, bis hin zu "Männer sind Schweine". Oder neuerdings: "Alle Männer sind nur Penner".
Also: Da wirkt irgendein "Zeitgeist". Etwas Überindividuelles, etwas Kulturelles, etwas Kollektives, was eben manche umtreibt. Da bist du nicht allein.
Also: Du beschäftigst dich damit, was "männliche Werte" sind. Das Buch vom Leimbach habe ich auch gerade hier herumliegen. Ich habe es jetzt nicht ganz gelesen und mein Eindruck ist sehr zwiespältig. Es ist meiner Ansicht nach alles nicht ganz falsch, was er schreibt ... und doch: Ich finde das alles zu sehr Sammelsurium, ohne roten Faden. Und letztlich wirkt es auf mich auch zu sehr "gedacht" und zu wenig "erlebt".
Aber weil du nach Tipps fragst:
Wahrscheinlich wärst du gut beraten, wenn du solche Bücher oder auch solche Online-Diskussionen wie hier auf die wirken lässt. Und dann ganz selektiv herausnimmst, was gerade bei dir auf Resonanz stößt. Und den ganzen Rest einfach liegen lässt.
Bei der ganzen Sache mit den "Ratgebern" lauert immer eine Falle. Egal, ob das ein Buch oder eine Meinung hier ist. Und der "Catch 22" geht so:
Du schreibst, dass ein Mann "Durchsetzungsvermögen, Unabhängigkeit, Initiative und Stärke ... ausstrahlen sollte." Gut, und jetzt stellst du fest, dass du das nicht oder nicht in genügendem Maße tust. Also fängst du an, deinen "Dursetzungsmuskel" zu trainieren. Und deinen Initiativemuskel. Und deinen Unabhängigkeitsmuskel. Usw. usw. usw.
Aber wenn du deinen Unabhängigkeitsmuskel trainierst, weil Herr Leimbach meint, ein Mann müsse oder sollte unabhängig sein: Dann bist du abhängig von Herrn Leimbach. (Jetzt nur mal stellvertretend genannt.) Du strebst nach "Unabhänigkeit", weil jemand anders sagt, das
solltest du tun. Was für eine Art Unabhängigkeit ist das dann? Du verstehst den Irrsinn, der sich hier auftut? Übrigens gilt das natürlich auch für das, was ich hier jetzt gerade schreibe ganz genauso. Wenn du das für eine "Wahrheit" hälst, kommst du nicht heraus aus der Falle. Dann bist du gezwungen, immer neue "Wahrheiten" zu suchen. Weil letztlich keine auf Dauer "funktioniert".
Also: Mein "Tipp" wäre: Mache aus nichts und niemand eine "Bibel". Mache kein Buch und auch kein Online-Forum zu deinem Guru. Lass dich anregen, nimm mit, was dir sinnvoll und nützlich scheint. Nicht mehr nicht weniger. Und ja: Sei etwas distanzierter, etwas pragmatischer solchen Büchern wie dem vom B. Leimbach gegenüber. Nimm es alles nur als bestenfalls
einen Mosaikstein in einem größeren Bild. Es ist
nie das ganze Bild.
Yossarian hat ja schon darauf hingewiesen, und ich möchte das einfach noch einmal unterstreichen:
Was Männer so alles sollten. Cool
... Willst Du das denn erreichen oder glaubst Du Du *solltest* das erreichen?
Das ist der Test. Willst du etwas? (Was auch immer - vielleicht männlich sein, unabhängig sein, initiativ sein etc pp). Oder meinst du es sollen zu wollen? Oder wollen zu sollen?
Nehmen wir einmal an, du wärest der Meinung: Ich war bislang zu harmonisch, war zu aktzeptierend. (So beschreibst du das). Und jetzt würdest du vielleicht sagen: Ich muss lernen, meine Interessen zu artikulieren. Nicht immer nur ja sagen. Auch einmal nein sagen. Auch und gerade einer Frau gegenüber.
So weit so gut. Wenn es das ist, was du
wirklich willst, was du
wirklich empfindest, dann ist das wunderbar. Und das kannst du ganz einfach üben, trainieren. Da gibt es im Alltag jeden Tag Dutzende von Gelegenheiten. Wenn also an der Käsetheke du 150 gr. geordert hast von einem bestimmten Käse und die Dame dahinter hat 180gr auf der Waage liegen, dann antwortest du eben auf die Frage "darf's ein bisschen mehr sein?" nicht mehr reflexhaft mit "ja". Sondern sagst einfach "nein". Solche einfachen Dinge meine ich ...
Wichtig scheint mir nur: Wenn du mit solchen Trainings- oder Veränderungsprojekten anfängst, auf zwei Dinge zu achten:
1. Auch wen du bislang vielleicht zu oft "ja" gesagt hast, wo du "nein" empfunden hast, dann heißt das
überhaupt nicht, dass du derzeit defizitär seist. Du bist damit nicht kaputt, du must nicht repariert werden. Auch so, wie die jetzt bist, bist du völlig in Ordnung. Es ist in Ordnung, als Mann die Erfahrung zu machen, dass man vielleicht zu "weich" ist. Es ist eine Erfahrung. Und es ist auch eine Erfahrung, dass es sich vielleicht erst einmal komisch anfühlt, wenn man etwas anders macht.
Du bist weder als Mann noch als Mensch minderwertig, wenn du nicht dursetzungsstark, initiativ und was-weiß-ich-nicht-noch bist. Es gehört
auch zum "männlich sein", anpassungsfähig zu sein. Und im Team einfach seine arbeitsteilige Aufgabe zu erfüllen, also zu folgen. Das Mann sein besteht nicht nur aus der Häuptliingsrolle. Auch die Indianer, die jeder Häuptling braucht, waren Männer. Alles andere ist gelogen.
2. Wenn du kannst, nimm das "einmal etwas anderes machen" als Spiel. Es ist vielleicht interessant, anregend, vielleicht auch aufregend. Aber es ist nicht lebenswichtig. Es geht darum, eine andere Erfahrung zu machen. Und zu schauen, zu spüren, wie es dir damit geht. Es ist
kein ultimatives Ziel, dass du erreichen
musst, sonst wärest du kein Mann. Das ist Quatsch.
Wenn du feststellst, dass dir das ständige "nein"-Sagen auf den Keks geht, weil es viel zu anstrengend ist, aus dem "nein" zu leben, dann lass es wieder. Du bist damit weder als Mensch noch als Mann gescheitert.
So weit mein "Wort zum Sonntag"
Have fun - und lass mal wieder von dir hören.