Ich glaube, dass man zumindest noch lebt. solange man sich die Frage nach (neuen) Zielen stellt. Wenn das Alter erreicht ist, wo alles eh egal geworden ist, ist man zwar "drüber weg", aber eben über alles.
Ich würde mich gerne mal wieder zu diesen "Luxusfragen" aufraffen können.
Mein Vater hat mit 45 Jahren seine Familie verlassen, den festen Job gekündigt, seiner Geliebten das Haus ausgebaut und als freischaffender Grafiker neu angefangen. Später ging er in die Politik. Sein erstes größeres Buch, für das er die Illustrationen gemalt hat, hat er mir mit folgenden Worten signiert:
"Dieses erste von mir illustrierte Buch, herausgekommen in meinem 53. Lebensjahr, im vierten Beruf, in dritter Ehe und nach drei verschiedenen Studien, soll Dir immer zeigen - es ist nie zu spät, einen neuen Weg einzuschlagen, wenn der alte ins Leere führt. Papa"
Ichhabe ihn damals gehasst dafür. Ich war eins von vier "verlassenen" Kindern und musste mit 13 seine Aufgaben in der Familie übernehmen. Ich hielt ihn für ein egoistisches, schwanzgesteuertes Arschloch.
Es hat Jahre gedauert, bis ich ihm nahe gekommen bin. Die letzten 10 Jahre seines Lebens war er mir dann der wichtigste Ansprechpartner. Er ist mit 70 auf der Skipiste einen Sekundenherztod gestorben. Im Urlaub. Mit Plänen für einen Tauchurlaub im Anschluss. Noch berufstätig.
Was will ich damit sagen? Ich beneide ihn heute dafür, dass er seinen Weg gegangen ist, ohne sich von eingebildeten oder tatsächlichen emotionalen Ketten aufhalten zu lassen.
Ich empfehle nicht die Familienauflösung. Das war SEIN Weg. Er hätte nichts von dem, was er wollte, mit meiner Mutter zusammen erreichen können. Dazu ist sie zu dominant und hat jede Veränderung, jede Initiative schlecht geredet, bis keine Kraft mehr da war. Bei ihm, später bei mir. Für ihn war der Weg aus dieser Familie der richtige.
ABER - er ist nahtlos in die nächste Familie gewechselt - junge Frau mit zwei Stiefkindern. Nur dass diese ihm nicht im Weg stand.
Deine Familie und Beziehung scheint ja eigentlich intakt und gesund zu sein. Für dich könnte also ein Weg sein, deine Fragen, Ängste, Befindlichkeiten mit deiner Frau zu besprechen. Ernsthaft darüber zu reden. Deine inneren Fragen ihr zu stellen. Vielleicht oder sehr wahrscheinlich geht es ihr ähnlich, vielleicht findet ihr gemeinsam neue Wege.