Ich muß das alles nicht mehr verstehen, versuche ich mir manchmal einzureden.
Der Mandant ist auf offener Straße grundlos zusammengeschlagen worden, einfach so. Zur falschen Zeit am falschen Ort halt. Zweifacher Kieferbruch, Nasenbeinbruch. zwei Operationen mit stationärem Krankenhausaufenthalt etc. Weil der Typ gerade einen guten Lauf hatte, macht er das gleiche fünf Minuten später und zwei Straßen weiter mit einem anderen Passanten, einfach so. Der Täter war zum Glück schnell ermittelt. Er hat neun Vorstrafen, die zugegebenermaßen teilweise nicht mehr ganz frisch sind.
Die Amtsanwaltschaft beantragt unverständlicherweise trotzdem nur einen Strafbefehl, d.h. eine Geldstrafe von € 6.000,-- (200 Tagessätze à € 30,--).
Dem Richter, der den Strafbefehl durchwinken soll, geht verständlicherweise die Hutschnur hoch. Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube und erklärt der Amtsanwaltschaft in mehreren Aktenvermerken, was er davon hält, und das er eine Anklageerhebung und Hauptverhandlung für das Mittel der Wahl hält.
Die Amtsanwaltschaft weist ihn trocken, aber geduldig darauf hin, daß der Richter ja auch ohne Anklageerhebung eine Hauptverhandlung anberaumen könnte, und zitiert sogar die entsprechende Vorschrift, die der Richter eigentlich kennen sollte.
Und was macht der Richter? Nix. Er unterschreibt den Strafbefehl. Ende des richterlichen Gezeters. Er hat sich wohl überlegt, daß eine Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme und anschließender Abfassung von schriftlichen Urteilsgründen mehr Arbeit macht, als einen vorbereiteten Strafbefehl zu unterschrieben. Ich meine, irgendwo muß man seine Empörung ja auch in ein Verhältnis zu der Arbeit setzen, die man sich mit dieser Empörung einbrocken könnte. Der Verteidiger des Täters klatscht vor Freude in die Hände und läßt den Strafbefehl rechtskräftig werden.
Alles Bekloppte oder was?