Natürlich.
Es sind auch Rechtskreise vorstellbar, die keine Unterschiede zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht machen bzw. diesen Unterschied nicht kennen.
Etwas anderes, aber die Gemengelage nett verdeutlichend ist z.B. die Nötigung:
§ 240
Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
Nimm die in Absatz zwei definierte Rechtswidrigkeit raus, und Du machst aus fast jeder zwischenmenschlichen Interaktion eine strafbare Nötigung: Küß mich, oder ich mach Dir kein Frühstück; leg Geld auf den Tresen, oder ich verkauf Dir keine Brötchen etc.
Die Rechtswidrigkeit variiert nach gesellschaftlicher Anschauung bzw. Konsens.
Ja. Allerdings ist § 240 StGB auch ein von moralinsaurem Ungeist geprägter Pseudotatbestand ohne bestimmten Gehalt und damit eigentlich verfassungswidrig. Das zeigt sich schon bei einfachsten Problemfragen, Bsp.: (Wann) ist es Nötigung, wenn man mit einem Unterlassen droht? Ist es nur Nötigung, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht, und wenn ja, muß es eine rechtliche Pflicht sein oder genügt eine sittliche Pflicht? Oder genügt es bereits, wenn die Sache nach gesundem Volksempfinden stinkt?
Beispielsfall 1 - Vorstellungsgespräch
Arbeitnehmerin: Und, bekomme ich den Job?
Arbeitgeber: Ja, aber vorher muß auf der Besetzungscouch geschlechtlich verkehrt werden.
Arbeitnehmerin (gibt sich hin)
Meinung a) - Stinken nach gesundem Volksempfinden reicht (Bundesgerichtshof) würde hier wegen Nötigung verurteilen. Die anderen Meinungen nicht.