Gestern, am frühen Abend (naja, eher später Nachmittag, aber da es ja wieder früh dunkel wird...) hatte ich einer Ecke des Frankfurter Nordends zu tun, wo es mich seit Jahren nicht mehr hin verschlagen hat. Meine Gnädigste hatte da ein Vorstellungsgespräch, und ich nutzte die Zeit, mal wieder eine Lokalität meiner Jugend aufzusuchen. Die meisten Läden gibt es ja nicht mehr, aber einige haben sich einen festen Platz in der Frankfurter Szene erobert. Ich spreche vom Café Größenwahn, das nach Auskunft des Typen, der mich bedient hat, im Dezember 36 Jahre alt wird. Ich selbst war vor mindestens 25 Jahren das letzte mal dort, es mögen inzwischen auch schon fast 30 Jahre her sein.
Schön, daß es so was noch gibt, möchte man meinen.
Beim Blick nach innen durch die Fenster sah alles noch sehr vertraut aus. Der inzwischen anscheinend obligatorische Genderdisclaimer irgendwo an der Wand ("Frankfurt soll wärmer und weiblicher werden" - Hä?), vielleicht einfach nur dem Zeitgeist geschuldet. Kaum jemand im Laden; es war ja noch früh, und ich war nicht sicher, ob die überhaupt schon auf hatten. Zu meiner Zeit sind wir da selten vor 22.00 Uhr aufgeschlagen. Es sei denn sonntags zum Frühstücken, da war es dann schon mal 12.00 oder 13.00 Uhr in der Frühe. Ich erinnere mich an ein Frühstück im Hof, wo große, spielende Hunde mit meinem Tisch kollidierten und ich aussah, als hätte ich mich auf dem Tisch in meinem Frühstück gewälzt. Statt mir mit Zerknirschung ein neues Frühstück zu zahlen, erhielt ich von den Hundebesitzern einen Vortrag über die Psychologie von Hunden. So waren sie damals schon, die "Alternativen". Aber ich war jung und scheu und zu gut für diese Welt. Heute hätte ich die Köter in die Küche gebracht, dort verwursten lassen und die Hobbyhundepsychologen gezwungen, ihre Mistviehcher vor meinen Augen aufzufressen.
Zu Essen gab es damals schon, und gar nicht mal schlecht. Es waren die ersten Versuche der Frankfurter Szene, was Leckeres zu kochen, ohne altbacken wie bei Mutti zu sein und abgehoben wie Siebeck (der nervte damals schon). Die teure Schickimickiküche als Markenzeichen der arrivierten Frankfurter Linken kam erst später mit Restaurants wie dem Gargantua, welches ich mich aus weltanschaulichen Gründen stets geweigert hatte, auch nur zu betreten.
Beim Blick auf die Karte des Größenwahn wurde mir schlecht. Sollte der Name Größenwahn inzwischen eine andere Bedeutung bekommen haben? Welcher Student oder meinetwegen Referendar kann sich Hauptgerichte um die 16,- € rum leisten? Wir reden hier nicht von Filetsteak, sondern Banalem wie Wildgulasch.
Aber gut, man mußte ja nichts Essen, damals jedenfalls nicht, und konnte sich ganz gut den Abend über von Bier zu Bier hangeln. Ich entschied mich für einen großen Kakao und suchte mir einen Tisch, weil Heißgetränke irgendwie nicht so richtig zur Theke passen.
Die Tische waren alle durchgehend und ausnahmslos reserviert.
Aus der Spontikneipe war offensichtlich ein Restaurant der Sorte "Wir-sind-vielleicht-nicht-wirklich-gehobene-Klasse-aber-deshalb-kriegt-noch-lange-nicht-jeder-der-hier-reinkommt-einen-Tisch" geworden. Reservierungen waren füher ein Unding. Man kam und hatte Glück oder wartete, bis ein Tisch frei wurde. Oder man ging woanders hin, wenn man arg hungrig war. So einfach war das Leben damals.
Gut, an meinem Tisch war ich bis 19.30 Uhr geduldet, so lange würde ich eh nicht auf meine Holde warten müssen. Lust, dort etwas zu Essen - womit ich ursprünglich mal geliebäugelt hatte - hatte ich ohnehin nicht mehr.
Der Laden fing langsam an, sich zu füllen. Ich bemerkte eine Tendenz zu Zweiklassenessern. Die, die Tische reserveren lassen und andere, die ein oder zwei Stunden vorher kommen und schnell was essen, bevor der Tisch wieder frei sein muß.
Das Publikum befremdete mich. Das war hier nicht nur ein Restaurant geworden, sondern eine Rentnerkneipe. Oder bin ich selbst wirklich schon so alt wie die anderen Gestalten, die hier rumsitzen? Vorübergehend gelingt es mir, mich mit dem Gedanken zu beschwichtigen, daß ich damals eher zu den Jüngeren gehörte und der Schuppen zu einem guten Teil von Altlinken frequentiert wurde, die bis zu 10 Jahre älter sind als ich.
Viel half das nicht.
Einen Kakao später hatte ich dann auch die Frankfurter Rundschau durch, die da auslag und fühlte mich von Minute zu Minute unwohler. Wo war meine Jugend geblieben? Was waren das für komische Leute um mich rum?
Da lief keine Musik, die Unterhaltungen waren gedämpft. Manchmal war es fast peinlich still. War das am Ende inzwischen die Kantine des Hauptfriedhofs geworden? Dafür war der eigentlich zu weit weg, jedenfalls fußläufig.
Mir war nach Schreien. Ein schöner, klarer, lauter Schrei. Nur, um zu kucken, ob diese Zombies um mich rum überhaupt reagieren.
Sehe ich wirklich aus wie die? Bin ich wirklich schon so alt?
Ich begann, die Zeitung ein zweites mal zu lesen, als endlich meine Gnädigste vor mir stand und ich aus dem Laden floh, nicht ohne zu bemerken, daß der Typ hinter der Theke deutliches Mißfallen zeigte, weil ich meine zwei Kakao abgezählt und ohne Trinkgeld bezahlte.
Bin ich wirklich schon so alt wie die da drin? Ja, meinte die gnadelos ehrlichste Frau an meiner Seite.
Wir sind dann bei einem Vietnamesen noch was Essen gegangen. Lecker Ente für nur 12 Ocken, da gab´s dann auch Trinkgeld.