wenn (...) ein Täter fast mit Sicherheit davon ausgehen muss, erwischt zu werden.
Es mag etwas idealistisch anmuten, aber ich denke, letztlich hängt es weniger davon ab, wie wahrscheinlich man erwischt wird, sondern davon, wie einprägend, wie zeitnah, wie heftig und dabei in Relation zu anderen Strafen sanktioniert wird.
Und schon lange vorher, wie wertschätzend eine Gesellschaft mit sich und ihren Mitgliedern umgeht. Sich einerseits kümmert und Freiräume gewährleistet, anderseits Regeln und Grenzen definiert, und dafür sorgt, daß die respektiert werden und so in jedermanns Rechtskanon verankert sind.
Dauerhaft ausbleibende Wertschätzung zieht früher oder später Konsequenzen nach sich, indem das Geringgeschätzte sich die Wertschätzung anderweitig besorgt, gegebenfalls auch mit Gewalt. Insofern bedeuten konsequent und zeitnah angewendete Sanktionen gelebte Wertschätzung, zeigen sie doch, daß jedermann, auch vermeintlich Schwachen angemessene Wertschätzung zusteht und diese wiederherzustellen ist, indem man dem Täter die für seine Handlung passende Wertschätzung entgegenbringt. Ob das Geschehen gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm wahrgenommen wird, spielt hier keine Rolle. Entscheidend ist, daß überhaupt etwas
geschieht. (vgl. auch
'Spiele der Erwachsenen' von Eric Berne, in etwa: Leute provozieren im Endeffekt fruchtloses Geschehen, weil sie währenddessen wenigstens die Illusion von Wertschätzung erleben, und sie mangels effektiverer Methoden sonst emotional zugrundegingen.)
Wenn man sich nicht ausreichend um seine Gesundheit kümmert, kommt das früher oder später als Krankheit zurück, und dann
muß man sich kümmern, dazu noch mit wesentlich schlechteren Voraussetzungen.
Wenn man seinen Kindern zu wenig oder unpassende Beachtung schenkt, obwohl sie danach hungern, sie sich also nicht adäquat gewertschätzt fühlen, erzwingen sie sich die Beachtung (oder schädigen sich selber) irgendwann auf andere, drastischere Weise.
Wenn eine Gesellschaft das zugegebenrmaßen mitunter mühsame Achten aufeinander vernachlässigt und stattdessen wartungsarme Geräte aufstellt; sich ins Private zurückzieht und die anderen (= den Nächsten, den man lieben soll, wie es so schön heißt) sich selber überläßt; Geborgenheit spendende Verbindlichkeit durch kühle Kosten-Nutzen-Rechnungen ersetzt, und alles cool und anonymer wird, dann verursacht das ein Wertschätzungsvakuum, welches danach drängt, sich zu füllen. Je dringlicher wahrgenommen, umso heftiger in den Maßnahmen.
In dem beschaulichen Geburtsort meines Vaters war, seit ich denken kann und wie meine Altvorderen es schilderten, der übliche Umgang miteinander herzlich, anteilnehmend, respektvoll. Man konnte einander vertrauen, zum Beispiel hat niemand jemals sein Fahrrad abgeschlossen, egal wo er es wie lange abstellte. Dies war bis weit in die 70er Jahre.
Dann aber beschloß der Gemeinderat, sich wirtschaftlich als Kurort aufzubauen und ging dafür ans Eingemachte. Man beraubte den Ortskern seiner Seele, indem man die über Jahrhunderte gewachsene malerische Altstadt zur Hälfte abriß und dort gesichtslose, vermeintlich großstädtisch-moderne Ladenzeilen hinkotzte, ergänzt um ebenso gesichtslos-anonyme Begegnungsplätze, die vor sich hinverwahrlosten. Um sie nach wenigen Jahren wieder abzureißen und durch andere hingerotzte Architektur zu ersetzen, und zusätzlich Kameras zu installieren.
Ihr ahnt es, irgendwann wurde erstmals ein Fahrrad gestohlen. Das war Ortsgespräch. Aber wurde bald wieder überlagert vom laufenden wirtschaftlichen Umbau und schließlich hingenommen als Preis der Entwicklung. Mittlerweile ist der Ort gesichtslos gewuchert wie die vielen anderen gesichtslosen im Lande, mit denselben gesichtslosen Gewerbegebieten am Ortsrand und derselben gesichtslosen Kriminalitätsrate wie anderswo.
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Edit: Tipfehler bereinigt