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Raskolnikow

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marple:
So. Wie angedroht nun hier ein Diskussionsthema frei nach Schuld und Sühne

Zur Kurzeinführung: Hauptheld ist Raskolnikow, der einen Raubmord begeht. Der Roman dreht sich um seine Motivationen dazu und die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis.

Raskolnikow sagt (in meinen Worten und stark gekürzt):

Es gibt Menschen, die bilden die Masse. Die stehen unter dem Gesetz. Für sie hat das Gesetz zu gelten.

Die zweite Sorte Menschen sind die Macher. Die machen Gesetze, vor allem, indem sie sich über diese stellen. Er glaubt, dass ein Macher zur Erreichung seiner vollen Kraft und Macht, die er für gute Taten an der Menschheit braucht, unter gewissen Umständen auch morden darf. (Er ist stark von Napoleon beeindruckt) In seinem Fall hält er den Raubmord an einer Wucherin und Pfandleiherin für gerechtfertigt, da er mit dem geraubten Geld seine Studien fortsetzen und (durch seine veränderte finanzielle Situation) gute Taten an der Menschheit begehen könnte. Ein Mord an einer "Laus" um hunderten anderen zu helfen.

Er begeht die Tat, muss aber an seinen darauffolgenen Zusammenbrüchen und Problemen erkennen, dass er offensichtlich nicht zu den Machern gehört. Zuchthaus in Sibirien, angedeutete Läuterung.

Nun die Thematik auf heute übersetzt:

Natürlich steht keiner über dem Gesetz, blabla. ABER - konstruiert man sich einen Fall, in welchem der Tod eines Einzelnen zur Rettung Hunderter beitragen könnte, ab wann würdet ihr euch über das Gesetz stellen, so ihr es überhaupt tätet.

Oder noch anders - was müsste passieren, damit ihr euch über moralische Grundfragen und Gesetze hinwegsetzen würdet. Es muss nicht unbedingt um Blutvergiessen gehen.

Mattieu:

--- Zitat von: marple am 19. Januar 2010, 13:17:18 ---Oder noch anders - was müsste passieren, damit ihr euch über moralische Grundfragen und Gesetze hinwegsetzen würdet. Es muss nicht unbedingt um Blutvergiessen gehen.

--- Ende Zitat ---

Über meine eigenen moralischen Grundfragen setze ich mich nicht hinweg. Wäre ja ein Widerspruch in sich.
Moralische Grundfragen anderer nehme ich wohlwollend zur Kenntnis.

Bei Gesetzen wäge ich die mir erschließbare Sinnhaftigkeit der Regel und die zu erwartende Sanktion bei Übertretung ab. It depends.

marple:
Also erkennst du nur Gesetze an, deren Sinn du einsiehst, oder deren Übertretung zu großen Schaden bei dir anrichten würden?

Teppichporsche:
Könnte man das auch umformulieren:

a) zum Erreichen eines guten (was noch zu zeigen wäre) Zieles kann man jede -auch "unmoralische"- Mittel verwenden (Rettung hunderter) oder
b) zum Erreichen eines persönlichen Zieles ("moralisch" oder "unmoralisch") kann man jedes Mittel verwenden?

Meine erstaunlichen Bemerkungen sind folgende:
1) gibt es keine allgemeingültige Moral
2) ist Handeln determiniert (heisst freier Wille ist Illusion)
3) das mit dem Ziel ist so eine Sache. Die Reaktion auf Handeln kann in den meisten Fällen nicht (jedenfalls nicht vom Handelnden, da er automatisch nicht alle Ausgangsparameter kennt) vorausgesagt werden. Daher ist -falls man doch von freiem Willen ausgehen sollte- zielgerichtetes Handeln eine Illusion.
4) wird b) tagtäglich in Politik, Partnerschaft, Geschäftsleben, ... überall verwendet. Kein Handeln (fast kein Handeln) ist selbstlos.

Zu 4)
"Liebe" ist so ein Beispiel. "Liebe" ist einfach nur Ausdruck von Eigennutz: a ist mit b zusammen, weil a sich mit b gut fühlt. Ist das nicht mehr der Fall, trennt sich a von b (oder auch nicht). Falls a sich dann nicht von b trennt, wird trotzdem ein Bedarf von a gedeckt. a kann z.B. die Rolle des Opfers spielen etc. "Liebes"beziehungen ist auf die ERfüllung von eigenen Bedürfnissen gerichtet.

marple:

--- Zitat von: Teppichporsche am 19. Januar 2010, 14:53:51 ---a) zum Erreichen eines guten (was noch zu zeigen wäre) Zieles kann man jede -auch "unmoralische"- Mittel verwenden (Rettung hunderter) oder
b) zum Erreichen eines persönlichen Zieles ("moralisch" oder "unmoralisch") kann man jedes Mittel verwenden?

--- Ende Zitat ---

In Dostojewskischem Sinne ist a gemeint. Raskolnikow irrte aber und handelte eigentlich eher nach b.

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