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egoistisch oder nett sein?

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Araxes:
Ich bin seit 10 Jahren bei meiner Firma angestellt. Ich bin da immer recht zufrieden gewesen. Das Verhältnis zu Chef und Kollegen ist gut. Das Gehalt ist aber nie richtig gestiegen. Die Steigerungen lagen über die 10 Jahre unterhalb der Inflationsrate und deutlich unter den Abschlüssen im öffentlichn Dienst. Bei uns war das immer so alle zwei Jahre mal 1% bis 2.5% für alle. Mittlerweile bekommen ITler am Markt höhere Gehälter, wenn man ein bißchen sucht.

Ich arbeite aber seit 2,5 Jahren per Mitarbeiterüberlassung gar nicht mehr in unserer Niederlassung, sondern außerhalb beim Kunden vor Ort - nennen wir ihn mal Kunde A. Mein Chef will mich nun da abziehen, weil er einen anderen Kunden B hat, der deutlich mehr zahlt. Ich habe mich da auch schon vorgestellt und die wollen mich haben.

Kunde A ist nun nicht so glücklich, daß ich weggehe und bietet mir an, mich für einen üblichen Stundensatz als Freelancer weiterzubeschäftigen, was im Prinzip bedeutet, daß mein Netto fast doppelt so hoch ausfällt, selbst wenn ich meine KV- und Rentenbeiräge voll selber zahlen muß. Das wäre absehber auf 3-4 Jahre. Klar, unternehmerisches Risiko, Scheinselbständigkeit, irgendwann mal einen neuen Auftraggeber suchen müssen und die ganzen Problematiken muß man beachten. Ich muß Rechnungen stellen, Umsatzsteuervoranmeldungen machen und der ganze Kram - aber herrjeh, 3000 EUR netto mehr. Außerdem wäre ich da nicht der einzige Freelancer. Es gibt Pläne, daß wir uns zu mehreren zusammentun und eine GmbH gründen.

Wenn ich jetzt kündige, steht mein Chef blöd da, weil er dann Kunde B kurzfristig absagen muß. Das will ich ihm eigentlich nicht antun. Dazu kommt aber noch, daß unser Inhaber ziemlich überraschend beschlossen hat, die ganze Firma an einen großen Wettbewerber zu verkaufen. Der bekommt dafür sicher einen zweistelligen Millionenbetrag. Davon hätte man eigentlich einen Teil an die Mitarbeiter ausschütten können. Vielleicht kommt das noch als Weihnachtsüberraschung, aber bislang ist nichts angekündigt. Ich denke mir dann: wenn der die Firma verkloppt, dann kann ich eigentlich auch ganz egoistisch das durchziehen, was für mich am besten ist.

Jetzt mit der Kündigung auf dem Tisch bietet mir mein Chef eine Gehaltserhöhung, aber eher so im Bereich 300 - 400 Euro. Das erste Mal seit 10 Jahren, daß er mal richtig eine Schippe drauftut. Muß man dafür immer erst mit der Kündigung wedeln? Viel mehr kann er auch nicht bieten. Das Gehaltsgefüge erlaubt keine allzu großen Abweichungen. Die Erhöhung macht sich gegenüber dem möglichen Einkommen als Selbständiger ziemlich mickrig aus und irgendwie hat es mir noch nie gepasst, daß ich für 70-100 EUR pro Stunde "verkauft" werde und davon selber nur die Hälfte kriege. Außerdem hat er mich eindringlich gebeten, wenigstens noch Teilzeit bei Kunde B mitzumachen. Das Problem ist nur: Kunde A will mich sofort ganz haben. Also irgendwen muß ich nun enttäuschen.

Also was tun? Einmal Arschloch sein und die Nummer durchziehen oder nett sein und selber zurückstecken? Letzteres wäre immerhin auch die etwas bequemere Variante als Angestellter mit gewisser Absicherung, aber so viel besser wäre die auch nicht. Wenn man ernsthaft krank wird, fällt man auch als Angestellter irgendwann in die Erwerbsunfähigkeit.

DieFrau:

--- Zitat von: Araxes am 13. Oktober 2018, 12:54:35 ---Muß man dafür immer erst mit der Kündigung wedeln?

--- Ende Zitat ---

Leider ja. Ich kenne einige Beispiele, wo es nur so besser wurde.

Zur deiner Ausgangsfrage, schau was für Dich am besten ist. Auch ein guter Chef zieht nur Seinen Vorteil vor.
Mit nett sein kommst du nicht so weit wie du es gerne hast, Deswegen schalte den Chef und die Firma aus und auf die Waage stellst du nur das was für Dich wichtig ist.

marple:
Ich würde Kunde A wählen.

Aber - tue es richtig. Hinterlasse keine verbrannte Erde. Geh taktisch klug und professionell vor.

5 Jahre nach meiner Kündigung wurde meine ehemalige Firma mein Hauptkunde und ist es bis heute.


Edit: es spricht auch bei dir nichts dagegen, wenn deine alte Firma dein Kunde wird.


Freelancer zu beauftragen ist manchmal günstiger als die Personalkosten eines Angestellten.

Araxes:

--- Zitat von: marple am 13. Oktober 2018, 14:01:00 ---Ich würde Kunde A wählen.

Aber - tue es richtig. Hinterlasse keine verbrannte Erde. Geh taktisch klug und professionell vor.

--- Ende Zitat ---

Deshalb versuche ich ja, alles abzuwägen. Ich habe auch vorgeschlagen, daß er mich an Kunde B vermitteln kann und dabei die Differenz des Stundensatzes für meine alte Firma vereinnahmt. Geht angeblich nicht, weil der Kunde als Arbeitnehmerüberlassung nur festangestellte Mitarbeiter akzeptiert. Das ist ein bißchen merkwürdig. Ich wäre dann auch immer noch in der Klemme, daß Kunde A mich nicht teilweise abgeben will. Es wäre aber gut für mich, um Scheinstelbständigkeit zu vermeiden. Mit zwei Kunden ist da man fein raus.


--- Zitat ---Freelancer zu beauftragen ist manchmal günstiger als die Personalkosten eines Angestellten.

--- Ende Zitat ---

Ich denke, Freelancer kommen etwas teurer, aber nicht viel, was dann auch die Motivation zur Eindämmung von Scheinselbständigkeit etwas ins Gegenteil verdreht. Eigentlich sollen damit Mitarbeiter vor Ausbeutung geschützt werden. In der IT ist es aber so, daß man als (Schein)selbständiger einen deutlichen Sprung nach oben macht. Da gehen die Stundensätze mitunter Richtung 100 EUR.

Ein anderer Grund für das Anheuern von Freelancern ist aber, daß man manche Aufträge nicht annehmen kann, ohne mit Externen aufzustocken. Wir hatten immer mal wieder in Projekten a 3 Leute noch einen Externen dabei. Manchmal für ein paar Monate, manchmal für Jahre. Der "Ausgebeutete" ist dann nicht der Externe, sondern der Interne. Für den Externen fällt deutlich mehr ab.

marple:
Ich verstehe den Hackmack mit Scheinselbstständigkeit eh nicht. Meine alte Firma würde für meinen Tätigkeitsbereich keine Stelle schaffen.

Aber da ich nebenbei immer noch paar Kleinstkunden für Textil- und Autobeschriftungen hatte, war das nie mein Problem.

Seit vorigem Jahr eh nicht mehr, weil ich jetzt für alle Wettbewerber die Arbeit mache. Die haben einfach Endkunden der ersten Firma angerufen und gefragt, wer die Produktion gemacht hat. So sind alle ohne mein Zutun bei mir gelandet.

Ja, Selbstständige haben auch Probleme und ich war lange Jahre knapp bei Kasse. Aber ich würde es wieder so tun.

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